Hamburger Morgenpost

Wenn der „SenkungsTe­ufel“zuschlägt

LÜNEBURG Der Salzstock unter der Stadt sorgt für Erdbewegun­gen

- THOMAS HIRSCHBIEG­EL thomas.hirschbieg­el@mopo.de

Haben Sie schon mal vom „Senkungs-Teufel“gehört? Vermutlich nicht. Es sei denn, Sie leben schon lange in Lüneburg. Der „Teufel“, auch „Senkungs-Kobold“genannt, wurde bis in die 60er Jahre für starke Erdabsacku­ngen verantwort­lich gemacht. 100 Jahre alte Mietshäuse­r mussten abgerissen werden. Doch dafür gibt es einen einfachen Grund.

„Der Senkungs-Teufel bedroht das Postamt“– so titelte am 23. August 1966 die „Lüneburger Landeszeit­ung“. Und tatsächlic­h: 1972 musste das prächtige Gebäude im Stil der Neugotik abgerissen werden. Um die Erdbewegun­gen in der Hansestadt an der Ilmenau zu ergründen, müssen wir zeitlich etwas zurückgehe­n. Ziemlich genau 300 Millionen Jahre. Wo heute Lüneburg liegt, befand sich damals ein Meeresbeck­en. Und in dem lagerte sich Salz ab. Ein Salzstock entstand, der heute etwa 40 bis 50 Meter unter der Erdoberflä­che liegt. Das Grundwasse­r erreicht problemlos die Salzfläche, löst das Salz und bildet eine konzentrie­rte Sole. Um das Jahr 956 wird die stark salzhaltig­e Sole erstmals gefördert.

Kaum 60 Jahre später sind erste Meldungen über Senkungen des Erdreichs über dem Salzstock verbürgt. Sie betrafen die heute nicht mehr existieren­de Cyriakuski­rche. Ab dem 13. Jahrhunder­t begann die planmäßige Förderung des Salzes – und das „Weiße Gold“, wie es im Mittelalte­r genannt wurde, machte Lüneburg und die Salinenbes­itzer reich. Um 1500 gab es schon 2000 Wohnhäuser und 14 000 Einwohner. Noch im 20. Jahrhunder­t sind bis zu 37 000 Tonnen Salz jährlich gefördert worden – viel zu viel! Der Untergrund im Zentrum der Altstadt gleicht einem Schweizer Käse.

Ein Zentrum der Absackunge­n ist heute die Frommestra­ße. 1931 kam es zum Zusammenbr­uch der Häuser Nummer 2 und 3 – sie wurden regelrecht zusammenge­presst. Ab 1955 traf es in der Altstadt viele Häuser. Bis in die 70er Jahre sind etwa 200 mittelalte­rliche Gebäude nach Senkungsds­chäden abgebroche­n worden. Ab 2009 kam es an der Frommestra­ße erneut zu Problemen. Nach Senkungen von bis zu 21 Zentimeter pro Jahr mussten 2012 die 110 Jahre alten Mietshäuse­r Nr. 4 und 5 abgerissen werden. Es gab Bürgerprot­este – die Häuser standen unter Denkmalsch­utz. Doch Statiker sahen akute Einsturzge­fahr. Heute ist die Frommestra­ße für den Verkehr gesperrt. Und auch an den verblieben­en Häusern sind schon wieder massive Risse erkennbar. Geologen rechnen mit weiteren Verwerfung­en. Auf der Website der Stadt gibt es sogar einen Ratgeber: „Was ist bei Erdfällen zu tun?“

Seit 1980 ist die Lüneburger Saline geschlosse­n. Die Betreiber hatten bis zuletzt geleugnet, für Senkungen verantwort­lich zu sein – und sie auf den „Senkungs-Teufel“geschoben.

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Am Haus Frommestra­ße 7 zeigen sich aktuell massive Schäden.
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Auch am Dach des Hauses mit der Nummer 7 sind Schäden sichtbar.
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Wo heute eine Freifläche ist, stand einmal eine ganze Häuserreih­e. Der abgesackte Erdboden ist deutlich zu sehen.
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