Einkaufen für die Seele
DIE RUGES KOMMEN KOLUMNE Michel Ruge macht den Trip zum Supermarkt zum sinnlichen Erlebnis
Essen berührt unsere Sinne. Alle. Duft, Geschmack, Optik, Haptik – das fällt mir spätestens immer dann wieder ein, wenn ich einkaufen gehe und total uninspiriert vor lieblos und halb gefüllten Discounter-Regalen stehe, aus aufgerissenen Kartons abgepackte Ware herausnehme und mich ratlos fühle: Wie soll ich daraus ein Essen zaubern, das mich auf allen Ebenen nährt und nicht einfach nur satt macht? Wo es doch hier schon die schlechte Laune aufgesogen hat? In solchen Supermärkten schlägt mir die Stimmung aufs Gemüt und schnürt mir den Brustkorb zu – Hunger habe ich dann keinen mehr. Das war schon früher so. Wenn ich mal knapp bei Kasse war, habe ich die letzten Taler lieber in einem schönen Supermarkt für ein kleines Stück französischen Rohmilchkäse als für einen großen eingeschweißten Gouda ausgegeben. So habe ich mich trotz Ebbe in der Kasse gleich viel besser gefühlt und weiß, es heißt nicht von ungefähr: Du bist, was du isst.
Meine Discounter-Allergie hängt aber auch mit der kalten Atmosphäre zusammen. Ich spüre, dass hier keine Zeit für einen Schnack mit den Kunden bleibt, so wie ich es von früher aus dem Feinkostladen oder vom Bäcker kenne. Die auf maximalen Gewinn ausgelegte Strategie lässt auch den Mitarbeitern wenig Zeit, um ins Gespräch zu kommen oder Fröhlichkeit zu verbreiten. Schade, denn im Durchschnitt verbringen wir 168
Stunden im Jahr im Supermarkt.
„Deshalb ist es wichtig, es sich auch beim Einkaufen schön zu machen“, meint Anni und ich gebe ihr recht. Ihre Mutter hat in der Sterneund Spitzengastronomie gelernt und deshalb hat gesundes, schmackhaftes Essen, das Spaß macht, bei ihr höchste Priorität – mein Glück!
So achten wir besonders während des Lockdowns darauf, dass uns die Ausflüge zum Einkaufen gute Laune machen. Wir haben drei Supermärkte, die wir regelmäßig ansteuern, in denen wir die Zeit genießen und uns inspirieren lassen können.
Wer in Ottensen wohnt, kennt vielleicht den „Rewe“Markt in der alten Schiffsschraubenfabrik neben dem Zeise-Kino an der Friedensallee. Seit 2019 lässt es sich dort genussvoll einkaufen. An den hohen, rohen Wänden sieht man noch alte Schiffsschrauben hängen, ebenso unter den Glasbausteinen im Boden. Der Clou ist allerdings das schwarze Piano im Zwischengeschoss, auf dem – zumindest vor dem Lockdown – am Freitagund Samstagnachmittag ein Pianist die Einkaufshalle in einen Konzertsaal verwandelt. Ich liebe das und habe schon Tage gehabt, an denen ich bei einem Espresso über eine Stunde den Klängen gelauscht habe und darüber ganz vergessen habe, dass ich zum Einkaufen gekommen bin.
Wenn Anni und ich jetzt in Ottensen sind, vermissen wir den Pianisten – die gute Nachricht aber ist, dass er nach dem Lockdown wieder in die Tasten greifen wird. Spaß macht das Einkaufen hier aber trotzdem, denn die Regale sind üppig gefüllt und das Angebot setzt Highlights wie das frische BioFleisch, ausgewählte Weine und Produkte kleinerer Manufakturen, sodass es immer etwas zu entdecken gibt. In der hauseigenen Küche werden außerdem Salate und Snacks täglich frisch zubereitet – nichts kommt aus der Großküche. „Ich fühle mich hier immer ein bisschen wie in New York“, sagt Anni, denn sie liebt die vielen alten umgebauten Fabrikhallen, von denen man dort besonders viele findet.
Wenn wir nicht in Ottensen unterwegs sind, dann fahren wir in die Lange Reihe nach St. Georg. Wir lieben diese Straße und den „Edeka Niemerszein“, in dem wir uns immer wie im Feinkostladen fühlen – so schön und liebevoll ist hier alles aufgemacht. Hinzu kommt die freundliche Atmosphäre – fragen wir einen Mitarbeiter, wo sich etwas findet, heißt es immer: „Kommen Sie mal mit, ich zeige Ihnen das.“Das finde ich mega! Das liegt vor allem an Volker Wiem, der uns für diesen Text durch den Supermarkt führt und dabei alle paar Meter stehen bleibt, um Kunden mit Namen zu begrüßen.
„Vor allem für die ältere Kundschaft ist das Einkaufen wichtig, um soziale Nähe zu spüren, zu schnacken und das Gefühl zu haben, mit der Welt in Kontakt zu sein. Deshalb verstehe ich gut, dass sie nicht früh am Morgen oder am Nachmittag kommen, wenn die arbeitende Bevölkerung nicht da ist, sondern dann, wenn es voll ist – so spüren sie das Leben“, sagt der Inhaber, der mit seiner Frau Andrea, Tochter des Firmengründers Dieter Niemerszein, und seinem Schwager Dieter Andreas Thorsten Niemerszein die Geschäfte leitet. „Allerdings nicht das Administrative, denn wir wollen uns uneingeschränkt um die Märkte kümmern“, sagt Volker Wiem und rauscht mit uns durch den Laden.
„Bei unserem Bäcker gibt es keine tiefgekühlten Teiglinge von Sonstwo, sondern wir beziehen das Brot von ausgesuchten Partnern, vor