Zehn Jahre Syrien-Krieg Ein Land im Untergang
ZERSTÖRUNG Menschen hungern, Städte liegen in Trümmern – und ein Ende ist nicht in Sicht
DAMASKUS – Es begann mit friedlichen Protesten und ist längst zur humanitären Krise geworden: Im März 2011 gingen in Syrien die Menschen auf die Straße. Doch Machthaber Assad schickte Panzer. Heute liegt das ganze Land am Boden. Verzweiflung und Not der Menschen werden immer größer.
Allein die Zahlen zeichnen ein verheerendes Bild: Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien vor zehn Jahren haben Hunderttausende Menschen ihr Leben verloren. Zwölf Millionen wurden vertrieben. Mehr als die Hälfte der Syrer leiden heute unter Schlafstörungen, Angst und Depressionen. Die Hoffnung auf einen Frieden? Gering.
Am 15. März versammelten sich die Menschen zum ersten Mal und demonstrierten in der Hauptstadt Damaskus, weitere Proteste folgten. Machthaber Baschar al-Assad reagierte: Er schickte seine Truppen, die auf die Demonstranten schossen, erst mit Tränengas, dann mit echter Munition.
Zehn Jahre später sind keine Anzeichen für eine politische Lösung des Konflikts zu erkennen. Zwar ist die Gewalt zuletzt zurückgegangen, doch alle Gespräche über eine politische Lösung stehen still. Manche Beobachter sehen Assad und seine Anhänger mittlerweile als Gewinner, weil sie wieder rund zwei Drittel des Landes kontrollierten. De facto ist Syrien allerdings dreigeteilt: in Gebiete unter Kontrolle der Regierung, verschiedener Rebellengruppen und der Kurdenmiliz YPG, jeweils unterstützt von Truppen ihrer ausländischen Verbündeten.
Was sie eint, ist die massive wirtschaftliche Not, unter der ein Großteil der Bevölkerung leidet. Vor dem zehnten Jahrestag des Konflikts schicken Hilfsorganisationen täglich Schreckensmeldungen über die humanitäre Not in Syrien, weiter verschärft durch die schwere Wirtschaftskrise im benachbarten Libanon und die Corona-Pandemie, der das Gesundheitssystem nicht gewachsen ist.
Während das syrische Pfund abstürzt, steigen die Preise immer weiter. Es mangelt an Treibstoff, Medikamenten und vor allem an Nahrung. Der Hunger grassiert in Syrien schon seit
Langem. Rund zwölf Millionen Menschen in dem Bürgerkriegsland hätten nicht genug zu essen, warnt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP).
Überall in Syrien müssen die Menschen heute für Lebensmittel anstehen, auch in den Gebieten im Norden und Osten unter kurdischer Kontrolle. Schirin Ibrahim, Anfang 30, berichtet von einer Brotkrise in der Stadt Amudah an der Grenze zur Türkei: „Es gibt kein Mehl.“
Die Kurdin, Moderatorin des dortigen Radiosenders Arta FM, erlebte den Beginn des Konflikts in der nordsyrischen Großstadt Aleppo, wo erst die Menschen protestierten und dann die Panzer durch ihr Viertel rollten. Als die Lage zu brenzlig wurde, floh sie 2011 mit ihrer Familie nach Amudah, einer kurdische Stadt. Nach einer Woche wollten sie zurück nach Aleppo, so war der Plan. Sie blieben bis heute.
Ibrahim ist geschockt von der Gewalt der Regierungstruppen, aber auch von extremistischen Gruppen, die im Laufe des Konflikts unter Namen wie „Taliban in Syrien“auftauchten. Bei einem Besuch in Aleppo 2012 wird sie von einem Ägypter bei einer Kontrolle rüde angefaucht, warum sie nicht verschleiert sei. Persönlich habe sie keine Reue, sagt Ibrahim. „Aber ich bedauere es, wie sich die Revolution verwandelt hat. Ich wünschte, das wäre niemals passiert.“
Assad und seine Anhänger machen nach zehn Jahren Bürgerkrieg nicht den Anschein, als seien sie zu Kompromissen bereit. Der Machthaber kündigte vielmehr mehrfach an, Syrien „bis zum letzten Fleck befreien“zu wollen. Auf der Seite seiner Gegner wiederum ist immer wieder zu hören, dass der Aufstand zwar nicht erfolgreich gewesen, aber lange noch nicht vorbei sei.