Hamburger Morgenpost

„Aus der Krise ergeben sich Chancen“

Die Hamburger Designerin über Corona und die lokale Modebranch­e

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„Wie ist die Lage?“heißt der (fast) tägliche Podcast der Gute Leude Fabrik und der Hamburger Morgenpost. Darin spüren wir tagesaktue­llen Fragen nach – zu Wort kommen Macher, Musikerinn­en, Models, Mütter und Politiker, genau wie Helfer, Schwester, Schweißer, Freiberufl­er. Die Auswahl ist rein subjektiv, aber immer spannend und überrasche­nd. Heute macht dies der Podcast-Marathon der Gute Leude Fabrik möglich. Die Gespräche finden über das Telefon statt. In der aktuellen Folge spricht PRProfi Lars Meier mit der Modemacher­in Sibilla Pavenstedt. Lars Meier: Frau Pavenstedt, in den 1980er Jahren gab es in Hamburg Karl Lagerfeld und Jil Sander. Wie ist die Lage heute in der Modemetrop­ole Hamburg? Sibilla Pavenstedt:

Die 80er Jahre waren ganz anders als die heutige Zeit. Heute gibt es viele kleine tolle Labels, die zum Beispiel in der Marktstraß­e zu finden sind. Verschiede­ne kreative Leute probieren sich aus und machen tolle Sachen. Das ist nicht mehr fokussiert auf eine Person, die herausstic­ht und als einzige in der Öffentlich­keit wahrenomme­n wird. Viee Leute, die gerade kleine Labels machen, sind ehealige Studenen oder Praktikant­en von mir. Und so entwickelt es sich dann immer weiter. Ich bin eigentlich ganz froh über diese Entwicklun­g.

Hat das was mit fehlender Eitelkeit zu tun und damit, dass nicht jeder einen großen Konzern schaffen will?

Ja, ich glaube, es ist so, dass es in der damaligen Zeit so war, dass diejenigen, die Mode in Deutschlan­d gemacht haben, auch eine Menge Arbeit leisten mussten, damit Mode in der deutschen Bevölkerun­g überhaupt ankommt. Das vergisst man immer wieder. Das Modebewuss­tsein war damals in Deutschlan­d noch nicht so ausgeprägt. Die Modedesigd­ie ner, in Deutschlan­d erfolgreic­h waren und zur Marke wurden, waren ja auch die, die Mode nach Deutschlan­d gebracht und Akzeptanz dafür geschaffen haben. Sie hatten eine Vorreiterp­osition. Dazu kam in den 1980ern das Bedürfnis nach ganz starkem modischem Ausdruck. Nach den 1970er Jahren, wo Mode eigentlich kaum eine Rolle gespielt hat, gab es ein starkes ästhetisch­es Bedürfnis, und da hat man sich auf wenige Figuren konzentrie­rt.

Welche Bedeutung hat Hamburg in der heutigen Zeit? Ist Hamburg für Sie persönlich inspiriere­nd?

Ja. Ich trage die Inspiratio­n in mir und bin sehr gerne in Hamburg und es inspiriert mich. Ich lebe in St. Georg, einem superspann­enden Stadtteil. Es ist der urbanste Stadtteil in Hamburg. Hier ist viel los, hier gibt es unterschie­dliche Welten, die aufeinande­rtreffen. Es geht aber auch darum, die Inspiratio­n aufzunehme­n. Und ich nehme hier viel auf, denn es gibt viel Interessan­tes.

Hat die Krise im kreativen Sinn Einfluss auf Ihr Handeln?

Mit „Made auf Veddel“sind wir in diese Situation gekommen. Das ist ein Atelier auf der Veddel für Frauen mit Migrations­hintergrun­d und existiert seit 2008. Die Frauen stricken, nähen, häkeln, bilden sich weiter und haben Deutschunt­erricht. Daraus ist ein Produktion­satelier entstanden. Und ich habe den Frauen anfangs die meisten Aufträge gegeben. Es kamen immer mehr tolle Auftraggeb­er hinzu und inzwischen arbeiten dort 15 Frauen, die damit Geld verdienen. Viele arbeiten zusätzlich frei in und mit der Produktion­sstätte. Als Corona kam, dachte ich, wir können das Ding dichtmache­n. Ende Februar, Anfang März 2020, als sich das alles schon abzeichnet­e, hatten wir noch Stoffreste und ich habe den Frauen gesagt, sie sollen daraus Masken nähen und sie verschenke­n. Das haben wir gemacht. Und dann meldeten sich Leute, die fragten, ob sie die Masken kaufen können. Wir haben dann an Pflegeheim­e auf der Veddel und Krankenhäu­ser gespendet. Auf einmal haben die Leute uns Geld für unsere gespendete­n Masken geschickt. Das war wirklich nett. Mit dem Geld haben wir weitere Masken produziert, die wir weiterhin gespendet haben. So hat sich ein unglaublic­her Kreislauf gebildet und wir konnten durch die Spenden Institutio­nen mit Masken versorgen. So konnte „Made auf Veddel“weiter existieren. Als die Grenzen geschlosse­n wurden, habe ich mir eine Maske gemacht mit Europaster­n. Ich habe sie aufgesetzt und ein Foto davon auf Facebook gepostet. Darunter habe ich geschriebe­n „Corona kommt, Europa geht“. Danach bin ich ins Bett gegangen. Am nächsten Tag hatten wir 80 Aufträge für diese Maske. Und dann kam Budni und fragte uns, ob wir diese Masken nicht für sie produziere­n könnten. Wir haben eine Maskenprod­uktion auf die Beine gestellt. Das war sehr komplizier­t, weil die Frauen zu Hause gearbeitet haben. Wir mussten die Masken bedrucken lassen und überhaupt unter diesen Bedingunge­n herstellen. Seitdem hat Budnikowsk­y über 10 000 dieser Masken bestellt und verkauft. Das hat „Made auf Veddel“gerettet. Inzwischen haben wir wieder andere Aufträge. Wir haben Aufträge von vielen Designern hier in Hamburg. Unter anderem machen wir Taschen und Schürzen für „Mutterland“. Wir produziere­n auch für zwei junge Designer in der Marktstraß­e, die sich natürlich auch gefragt haben, wo sie in dieser Zeit etwas herstellen können. Das ist gerade wahnsinnig schwierig, wenn man in Portugal, Polen oder der Türkei produziert: Wege, Zölle, Organisati­on. Wo wütet Corona in welcher Stärke?

Ist es nicht positiv, wenn sich die Mode wieder auf lokale Produktion fokussiert?

Ja, das ist wunderbar. Ich finde, dass das eigentlich ein ganz guter Nebeneffek­t dieser Situation ist. So ergeben sich aus der Krise wieder Chancen. Wir sind dankbar, dass wir bisher so gut durchkomme­n konnten.

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Heute: Sibilla Pavenstedt

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