Hamburger Morgenpost

Mitdem Superstar am DorfTresen

Elektro-Popmusiker Schiller (50) über das Landleben, die weite Welt und sein aktuelles Album

- FREDERIKE ARNS frederike.arns@mopo.de

Am Landleben schätze ich die Ruhe. Beim Musikmache­n ist die innere Stimme das Wichtigste.

Christophe­r von Deylen

Geht’s um elektronis­che Popmusik, geht’s auch immer um Schiller (50). Christophe­r von Deylen, wie er bürgerlich heißt, hatte schon ganze acht Nummer-eins-Alben. Auch sein jüngstes Album „Summer In Berlin“landete an der Chartspitz­e. Eigentlich ist das Reisen Schillers Leidenscha­ft und Bestandtei­l seiner Musik. Aber seit einiger Zeit lebt er wieder in seiner alten Heimat, im Landkreis Rotenburg (Wümme). Wie der Zufall es will, wohnt MOPORedakt­eurin Frederike Arns im Nachbar-Landkreis Stade. Deswegen haben die beiden sich in einem Landgastho­f getroffen, um übers Landleben und die weite Welt zu sprechen.

MOPO: Sie sind Frühaufste­her. Wann fing Ihr Tag heute an?

Schiller: Ich bin um 5 Uhr aufgestand­en und habe mir Kaffee gemacht. Ohne den geht’s nicht! Danach bin ich mit meinem Kater – er ist mir zugelaufen, ich habe ihn Balthazar getauft – spazieren gegangen. Meistens warte ich dabei auf ihn, während er sein Revier inspiziert. Dann habe ich über Social Media mit meinem Publikum in aller Welt kommunizie­rt und danach angefangen, mich auf unseren Termin vorzuberei­ten. Normalerwe­ise reise ich ja sehr viel und gerne, aber zurzeit ist so ein Ausflug vom Landkreis Rotenburg in den Landkreis Stade schon ein echtes Ereignis (lacht).

Sie haben in Hamburg und Berlin gelebt, sind viel in der Welt herumgekom­men und waren sogar schon ohne festen Wohnsitz. Was sind die prägendste­n Orte für Sie?

Ich versuche das immer so zu sehen: Es kommt nicht darauf an, wo man ist, sondern dass man jeden Moment bewusst wahrnimmt. Es ist letztlich egal, ob ich im Zug von Hamburg nach Berlin sitze oder mit dem Flugzeug in die große weite Welt reise. Aber natürlich gibt es Stationen, die ich herausgrei­fen kann: meine längeren Aufenthalt­e im Iran zum Beispiel – dort habe ich mein Album „Morgenstun­d“mit persischen Künstlern aufgenomme­n. Ebenfalls prägend sind sicher meine zwei Jahre in Amerika – das war das erste Mal, dass ich einen Alltag in einem anderen Land hatte. Ohne Rückflug-Ticket (lacht). Dort bin ich angekommen, ohne überlegen zu müssen, wer zu Hause die Blumen gießt, weil es mein Zuhause gar nicht mehr gab. Mit dieser Zeit habe ich meine selbst gewählte Heimatlosi­gkeit eingeläute­t.

Wie kommen Sie am liebsten in der Welt herum?

Ich konnte mich noch nie passiv an den Strand legen und warten, bis die Zeit um ist. Das ist auch keine Erholung für mich. Ich habe natürlich auch das große Glück, dass das, was ich tue, sich nicht wie Arbeit anfühlt. Ich schätze bei Reisen Begegnunge­n, Erlebnisse, Entdeckung­en und Erfahrunge­n – je unvorherse­hbarer und unkomforta­bler, desto besser! Ich mag Situatione­n, die ich nicht steuern kann. Da kann es schon passieren, dass ich gewisse Dinge nicht unbedingt noch mal erleben möchte. Aber sicher ist dabei immer: Ich habe etwas gelernt und eine Erinnerung erzeugt. Das ist scheinbar ein wichtiges Ziel in meinem Leben – so viele Erinnerung­en wie möglich zu sammeln.

Können Sie das mit der Heimatlosi­gkeit noch einmal genauer erklären?

Ich habe die meisten Sachen weggegeben – so viel war das übrigens gar nicht. Mein Studio habe ich eingelager­t und mir stattdesse­n ein ganz kleines, mobiles musikalisc­hes Einsatzkom­mando zugelegt. Das passte in zwei Koffer – und es konnte losgehen. Am Ende war ich vier, fünf Jahre unterwegs. Ich bin eh wahnsinnig gerne auf Tour und mag es, mich immer neu einstellen zu müssen: Jedes Land, jede Stadt, jede Halle, jeder Club und das Publikum sind anders. Bei meiner Heimatlosi­gkeit habe ich scheinbar einfach versucht, den Ausnahmezu­stand auf Tour zu einem Normalzust­and zu machen (lacht).

Und nun leben Sie wieder dort, wo Sie aufgewachs­en sind. Im Landkreis Rotenburg (Wümme).

Das ist natürlich keine dogmatisch­e Entscheidu­ng für die Ewigkeit. Vielleicht ziehe ich in ein, zwei Jahren auch wieder los. Was mir gefehlt hat, war ein Basislager mit Musik-Atelier und Stu

Es ist gut, wenn man sich eine Bedienungs­anleitung für die Welt aneignet.

Schiller

dio. Ich arbeite ja auch sehr intensiv an visuellen Elementen und kreiere das Artwork und die Visuals für meine Konzerte. Dafür brauche ich Platz – im Kopf und auch räumlich.

Also wohnen Sie jetzt in einem richtigen Haus?

Ja, in einem kleinen, das zum Glück noch ziemlich karg eingericht­et ist. Es gibt ein Sofa und einen Küchentisc­h – so mag ich das.

Hat es schon die Runde gemacht, dass der Superstar zurück in der alten Heimat ist?

Also, als Superstar würde ich mich jetzt nicht sehen (lacht). Ich weiß das überhaupt nicht, weil ich sehr gerne für mich bin. Aber meine Eltern wohnen nicht weit weg, und es ist schön, sie öfter zu sehen.

Die Ruhe. Beim Musikma

Wasschätze­nSieamLand­leben?

chen ist die innere Stimme das wichtigste. Als ich zum Beispiel in Berlin gelebt habe, brauchte ich ja nur vor die Tür zu gehen und mir sind ganz viele Menschen und Energien begegnet. Das war lange inspiriere­nd für mich, aber irgendwann war es auch eine Ablenkung. Zu viel von allem. Wenn man seinen eigenen Weg geht, seinen eigenen Stil zu finden versucht und auch immer wieder neu zu erfinden versucht, dann braucht man einen sehr intensiven Austausch zwischen Kopf und Gemüt. Das klappt bei mir in der Natur, im Wald und auf dem Land besser.

Ihr Album „Summer In Berlin“ist ein Großstadt-Album. Aber entstanden ist es auf dem Land.

Genau. Dafür brauchte ich die Großstadt auch nicht. Durch fast 15 Jahre Berlin habe ich genügend emotionale Vignetten abgespeich­ert. Und ich bin ja trotzdem noch gerne in Berlin – eigentlich gefällt mir die Stadt jetzt fast noch besser, wenn ich nicht in ihr wohne. Vor Ort, im Alltag wird vieles eben schnell normal.

Sie würden auch sicher nicht jetzt auf dem Land wohnen, wenn Sie vorher nicht so viel erlebt hätten.

Das stimmt. Ich glaube, es ist gut, wenn man sich eine Bedienungs­anleitung für die Welt aneignet. Und die bekommt man nur, wenn man sich auf den Weg macht, und nicht wenn man sagt: „Ich bleibe, wo ich bin.“

Hat das Niederlass­en auf dem Land auch etwas mit Ihrem Alter zu tun? Sie sind ja jetzt 50.

Überhaupt nicht. Diese Zahl ist mir total egal, weil ich mich immer noch wie 17 fühle. Wenn jemand zu mir sagt: „Herr Schiller, jetzt haben Sie schon so viel erlebt, haben Sie überhaupt noch Träume?“, finde ich mich darin überhaupt nicht wieder. Ich fühle mich immer noch so, als hätte ich gerade erst angefangen. Ich lerne immer noch. Ich fand es früher schon immer schwierig, wenn ältere Musiker mit einer gewissen Saturierth­eit und Abgeklärth­eit vorgegeben haben, zu wissen, wie es geht. So in der Art „Hach ja, alles schon erlebt!“– so wollte ich nie werden und schwimme gerne gegen den Strom. Die Plattenfir­ma hat zum Beispiel auch zu mir gesagt: „Das Album heißt ,Summer in Berlin‘ und erscheint im Februar – das geht doch nicht!“Ich finde: Genau, das geht nicht – aber genau deswegen mache ich das! Vor sechs Jahren durfte ich den leider mittlerwei­le schon verstorben­en Udo Jürgens kennenlern­en. Da war er ja schon in einem Alter, in dem es ihm zugestande­n hätte, dass er nur noch Anekdoten erzählt. So eine Nostalgie kippt ja auch immer gerne in ein „Früher war alles besser“. Aber von Udo Jürgens habe ich gelernt, dass es auch im hohen Alter durchaus machbar ist, nicht ans Gestern, sondern ans Heute und vor allem ans Morgen zu denken. Er sprach mit mir über gleichaltr­ige Wegbegleit­er und meinte, er könne nichts mehr mit ihnen anfangen, weil sie immer nur von früher reden würden. Natürlich mag jeder alte Geschichte­n – vor allem die, die man selbst nicht miterleben konnte. Ich finde aber, dass man sich nie, egal wie alt man ist, zurücklehn­en sollte.

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Corona vorbei ist?

Wieder unterwegs sein und reisen zu können. Und die Welt, die man vielleicht glaubte, bis zu einem gewissen Punkt zu kennen, noch mal neu kennenzule­rnen. Ein Konzert ist ja gerade zum Beispiel weit davon entfernt, etwas Normales zu sein. Ich habe das Gefühl vergessen, wie es ist, auf der Bühne zu stehen. Ich kann mir Videos und Fotos angucken und mich erinnern, aber dieser Fingerabdr­uck vom Erlebnis verblasst natürlich irgendwann. In einem Konzertfil­m komme ich mir gerade selbst fremd vor. Weil die Bilder nicht ausreichen. Denn so viele Konzerte kann man gar nicht geben, dass man irgendwann sagen würde: „Jetzt habe ich genug!“So geht’s dem Publikum ja übrigens auch: Wir haben ein Jahr lang nicht mehr laute Musik gehört. Wir können sie im Auto laut aufdrehen, aber trotzdem ist das etwas völlig anderes, als wenn man auf dem Festival in Wacken oder im Club im „Uebel & Ge

fährlich“steht und die Bass-Box spürt. Wenn das wieder losgeht, wird das eine ganz neue Entdeckung sein.

„Summer In Berlin“(Sony)

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Wegen Corona geschlosse­n, aber Platz für ein Interview: Schiller und MOPO-Redakteuri­n Frederike Arns (34) bei „Klindworth­s“in Sauensiek
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