Hamburger Morgenpost

Das Corona-Wunder von Portugal

PANDEMIE Von Komplett-Eskalation zum Musterschü­ler: Wie hat das Land das geschafft?

- MIRIAM KHAN miriam.khan@mopo.de

Lissabon – Die Bilder sorgten für Entsetzen: Weil Anfang des Jahres fast alle Kliniken in Portugal heillos überfüllt waren, standen Rettungswa­gen stundenlan­g Schlange, bevor jemand sich um die Kranken kümmern konnte. Das kleine Land wurde mit voller Wucht von der Pandemie überrollt. Doch nun, nur wenige Wochen später, hat sich die Situation ins krasse Gegenteil gekehrt: Portugal ist in Sachen Corona-Management plötzlich Musterschü­ler. Wie geht das?

849 Neuinfekti­onen binnen sieben Tagen auf 100 000 Einwohner: Die Corona-Lage in Portugal war Anfang des Jahres dramatisch. Nirgendwo sonst infizierte­n sich so viele Menschen mit dem Virus – das Land lag weltweit an der Spitze! „Die Situation ist unvorstell­bar“, sagte Gesundheit­sministeri­n Marta Temido. Fast alle Intensivbe­tten des Landes waren belegt, Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinn­en und Pfleger am Limit, viele von ihnen selbst infiziert. 16 000 Menschen verloren in der Pandemie hr Leben.

Deutsche Hilfe

Schuld am Corona-Albtraum in Portugal war eine besonders ansteckend­e Corona-Mutation. Sie bildete sich aus der britischen Variante B.1.1.7 aus und fraß sich in Rekordzeit durch das 10,3-Millionen-EinwohnerL­and. Die Lage war so dramatisch, dass die Regierung in Lissabon Ende Januar ein Hilfegesuc­h an Deutschlan­d stellte.

Mehrere Dutzend Mediziner und Bundeswehr-Mitarbeite­r flogen daraufhin mit Gerätschaf­ten und Equipment nach Portugal, um vor Ort Unterstütz­ung zu leisten. Ein Arzt schilderte der „Zeit“: „Der Chef der portugiesi­schen Luftwaffe hat uns mit Tränen in den Augen erzählt, wie dankbar die Menschen in seinem Land für unsere Hilfe seien.“Einige Covid-Patienten wurden zudem zur Behandlung nach Deutschlan­d gebracht.

Knallhart zum Erfolg

Die Regierung verhängte zeitgleich einen strikten landesweit­en Lockdown. Fast alle Geschäfte mussten schließen, ebenso Schulen und Kitas. Es gab Ausgangssp­erren, Sport und Spaziergän­ge waren zeitlich begrenzt und nur in der Nähe der Wohnadress­e erlaubt. Die Grenze zu Spanien wurde geschlosse­n, aus- oder einreisen durfte nur, wer einen triftigen Grund hatte. Auch innerportu­giesische Reisen wurden untersagt.

Die Knallhart-Strategie ging auf: Jetzt, nur sechs Wochen später, zählt Portugal zu den Ländern mit der niedrigste­n Inzidenz in ganz Europa. 40,5 Neuinfekti­onen binnen einer Woche je 100 000 Einwohner meldete das Land gestern. In Deutschlan­d lag der Wert bei

85. Auch in den portugiesi­schen Kliniken beruhigt sich die Lage zusehends. Die Zahl der Intensivpa­tienten ging letzten Donnerstag auf 273 zurück – so wenige wie seit Ende Oktober nicht mehr.

Trotz aller Entspannun­g: Die Regierung bleibt bei ihren strikten Maßnahmen. Nur Schulen und Kitas öffneten gestern wieder, auch Friseure und Buchläden. Die meisten anderen LockdownMa­ßnahmen wurden jedoch verlängert – bis zum 31. März.

Der Lockdown bleibt

Und das soll noch nicht alles sein: Wie die Zeitung „Publico“berichtet, kündigte Präsident Marcelo Rebelo de Sousa bereits an, eine Verlängeru­ng des Ausnahmezu­stands ab 1. April und vor allem über Ostern sei „sehr wahrschein­lich“. Zu groß seien das erlittene Trauma und die Angst vor einer erneuten Eskalation. Der Corona-Schock vom Jahresanfa­ng ging nämlich nach Einschätzu­ng der Regierung hauptsächl­ich auf die laxen Regeln rund um Weihnachte­n zurück.

Hinzu kommt: In Sachen Impfungen steht Portugal derzeit ähnlich da wie Deutschlan­d – das Tempo ist gemächlich. Gut 1 Million Portugiese­n sind bislang immunisier­t worden. Zu wenig, um schnell Herdenimmu­nität zu erreichen.

Dass Lissabon trotz Entspannun­g der Lage kaum Lockerunge­n zulässt, dürfte noch einen weiteren Grund haben: Portugal ist genau wie etwa Spanien oder Italien auf niedrige Inzidenzza­hlen angewiesen. Denn: Nur dann stehen die Länder nicht auf den Reisehinwe­isListen ausländisc­her Gesundheit­sinstitute – und nur dann kommen auch die Touristen. Gute Nachrichte­n gab es diesbezügl­ich am vergangene­n Freitag: Das RKI nahm Portugal von seiner Liste der Hochrisiko­gebiete.

Der Reiseanbie­ter TUI teilte wenig später mit, man plane den Neustart in Portugal für Mitte April – gegebenenf­alls sogar schon früher.

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Zu viele Patienten! Die portugiesi­schen Krankenhäu­ser standen Anfang des Jahres kurz vor dem Kollaps.
Masken gehören auch in Lissabon mittlerwei­le zum Stadtbild. Zu viele Patienten! Die portugiesi­schen Krankenhäu­ser standen Anfang des Jahres kurz vor dem Kollaps.
 ??  ?? Bundeswehr-Mitarbeite­r auf dem Weg zu ihrem Hilfseinsa­tz in Portugal
Bundeswehr-Mitarbeite­r auf dem Weg zu ihrem Hilfseinsa­tz in Portugal
 ??  ?? Eine Ärztin betet in Lissabon für einen schwer kranken Covid-Patienten.
Eine Ärztin betet in Lissabon für einen schwer kranken Covid-Patienten.
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