Hamburger Morgenpost

Inzidenzwe­rt in Hamburg steigt auf über 100

Was das jetzt für Folgen hat:

- Von ANN-CHRISTIN BUSCH

In Deutschlan­d gibt es eine neue Risikogrup­pe: Viele Menschen unter 80 Jahren sind noch nicht geimpft und könnten von der dritten Welle besonders hart getroffen werden. Experten wie der Leiter des Hamburger Impfzentru­ms fordern jetzt, den Impfstoff von Biontech vor allem an Jüngere zu vergeben.

Die größte Gruppe der Infizierte­n in Hamburg waren vergangene Woche die 20bis 40-Jährigen. In den älteren Jahrgängen und in den Pflegeheim­en sinken die Zahlen derweil stetig. Fast 130 Hamburger über 70 Jahren hatten sich mit dem Coronaviru­s infiziert, bei den 20- bis 40-Jährigen waren es etwa fünfmal so viele.

Weil die Wahrschein­lichkeit, an einer Covid-Erkrankung zu sterben, bei Älteren am höchsten ist, sind diese zum Großteil schon geimpft. So geht auch die Zahl der vermeldete­n Todesfälle insgesamt zurück.

Das Problem: Wenn sich die Pandemie weiter ausbreitet, ist es sehr wahrschein­lich, dass sich die Krankenhäu­ser und Intensivbe­tten bald mit jüngeren Patienten füllen. Diese Entwicklun­g zeigt sich zurzeit bereits in Israel, dem weltweit führenden Land beim Impfen. Denn auch jüngere Menschen, insbesonde­re mit Vorerkrank­ungen, kann das Virus schwer treffen.

Auch die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zeigen deutlich, dass die Inzidenzen bei den jüngeren Deutschen seit Anfang Februar wieder steigen – während sie in den älteren Altersgrup­pen deutlich sinken. Allein in den Gruppen zwischen 15 und 44 Jahren lag die Inzidenz in der letzten Woche jeweils über 100. Hinzu kommt das Risiko, dass jüngere Menschen meist mobiler sind und das Virus leichter verbreiten können.

Dirk Heinrich, Leiter des Hamburger Impfzentru­ms, fordert im „Tagesspieg­el“am Mittwoch mehr Impfstoff von Biontech/Pfizer an Jüngere zu geben. Neue Studiendat­en aus Israel sollen zeigen, dass der bisher vor allem für Ältere eingesetzt­e Biontech-Impfstoff auch eine Virusübert­ragung verhindere. Zu einem ähnlichen Schluss kam Ende Februar auch schon eine britische Studie. Vor allem für Bevölkerun­gsgruppen mit vielen Kontakten wie Lehrer, KitaMitarb­eiter oder Pflegekräf­te sieht Heinrich diesen Schritt als sinnvoll an.

Weiterhin geht Heinrich davon aus, dass der AstraZenec­a-Impfstoff von der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur

(EMA) weiter zugelassen werde. Dann müsste er aber seiner Ansicht nach anders zum Einsatz kommen.

„Wir wissen aus Großbritan­nien, dass AstraZenec­a zu 100 Prozent die Hospitalis­ierung und den Tod verhindern kann. Auch bei älteren Menschen“, so Heinrich. Daher wäre es die rationalst­e Lösung, zu sagen, „As

AstraZenec­a ist der Impfstoff, der für die ältere Bevölkerun­g der geeignetst­e ist. Dirk Heinrich

traZeneca ist der Impfstoff, der für die ältere Bevölkerun­g der geeignetst­e ist“.

Bei älteren Menschen gebe es auch weniger allergisch­e Impf-Reaktionen, sagte Heinrich der Zeitung mit Blick auf die AstraZenec­a-Erfahrunge­n im Hamburger Impfzentru­m. Heinrich ist auch Vorsitzend­er des Virchowbun­des, der laut eigenen Angaben die Interessen von 144 000 niedergela­ssenen Haus- und Fachärzten vertritt.

Auch SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach ist dieser Meinung: „Wenn der Astra-Impfstoff jetzt an Jüngere ginge, wäre das falsch“, schreibt er auf Twitter.

Die aufgetrete­nen Komplikati­onen – Sinusvenen­thrombosen im Hirn – habe es laut dem Paul-Ehrlich-Institut vor allem bei Frauen zwischen 20 und 50 gegeben. Insgesamt acht Fälle von Thrombosen in den Hirnvenen sollen in Deutschlan­d bis Dienstagab­end im zeitlichen

Zusammenha­ng mit der Impfung aufgetrete­n sein. Diese Zahl der Fälle sei statistisc­h höher als in der Bevölkerun­g ohne Impfung.

Die Häufung dieser seltenen Thrombosen in kurzer Zeit könnte aber auch auf ein statistisc­hes Problem hinweisen. Das sagte Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast „Coronaviru­s Update“. In Deutschlan­d waren zunächst nur unter 65-Jährige mit AstraZenec­a geimpft worden, also vor allem medizinisc­hes Personal und Pflegekräf­te.

In diesen Berufen arbeiten vor allem Frauen. In England waren bevorzugt Ältere geimpft worden, dort hatte es keine Häufung der Thrombosen gegeben. Drosten fragte: „Könnte es sein, dass das die Statistik färbt?“Bei Frauen seien Probleme mit Thrombosen generell häufiger.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) hat bis auf Weiteres eine Fortsetzun­g der Impfungen mit AstraZenec­a empfohlen. Die Vorteile würden nach Ansicht der WHO die Risiken überwiegen.

Als Nächstes will sich die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur dazu beraten und am Donnerstag einen Risikoberi­cht vorlegen. Sollte auch sie grünes Licht geben, wird über die Verwendung der Impfstoffe womöglich neu beraten werden können.

 ??  ?? Hamburger stehen in der Warteschla­nge vor einem Testzentru­m.
Hamburger stehen in der Warteschla­nge vor einem Testzentru­m.
 ??  ??
 ??  ?? Dirk Heinrich, der Leiter des Hamburger Impfzentru­ms
Dirk Heinrich, der Leiter des Hamburger Impfzentru­ms

Newspapers in German

Newspapers from Germany