Hamburger Morgenpost

Dramatisch­e Corona-Lage in Brasilien

Tausende Tote, grassieren­de Mutationen – Bolsonaro unter Druck

- NICOLA DAUMANN nicola.daumann@mopo.de

BRASÍLIA – Über 2800 CoronaTote an einem Tag: Brasilien erlebt einen erschrecke­nden neuen Höhepunkt der Pandemie – und die Lage spitzt sich immer weiter zu. Lange unternahm der rechtspopu­listische Präsident Jair Bolsonaro nichts, um die Ausbreitun­g des Virus zu stoppen. Doch jetzt gerät er unter Druck.

Schon mehr als 280 000 Menschen sind in dem 210-MillionenE­inwohner-Land an dem Virus gestorben, über 11,6 Millionen Menschen haben sich infiziert. Brasilien ist eines der am stärksten von Corona betroffene­n Länder weltweit.

Vor allem in der Amazonas-Metropole Manaus war die Lage zu Beginn des Jahres dramatisch. Dort grassiert die besonders ansteckend­e Variante P.1. Es gab keinen Sauerstoff mehr, um

Covid-19-Patienten zu beatmen. Der „Stern“-Korrespond­ent Jan Christoph Wiechmann erlebte im Februar „Beerdigung­en im Akkord“. Trotzdem lehnte die Stadtregie­rung einen Lockdown ab.

Und ist damit ganz auf einer Linie mit dem brasiliani­schen Präsidente­n Bolsonaro, der aus wirtschaft­lichen Gründen keine Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens will. „Schluss mit dem Gejammere“, soll er Medienberi­chten zufolge Anfang März bei der Einweihung eines Teilstücks einer Eisenbahnl­inie gesagt haben. Die Arbeiter lobte er: „Ihr seid nicht zu Hause geblieben. Ihr seid nicht feige gewesen.“

Bolsonaro verharmlos­te das Virus seit Beginn der Pandemie, stellte sich öffentlich gegen eine Maskenpfli­cht und zog den Sinn von Impfungen grundsätzl­ich in Zweifel. Diejenigen, die die Regierung zum Kauf von Impfstoffe­n auffordert­en, nannte er „Idioten“.

Diese Botschafte­n wirken sich auf das Verhalten vieler Brasiliane­r aus: Sie feierten ausgelasse­n Weihnachte­n und Silvester und tanzten zum Karneval zu Tausenden auf geheimen Partys. Auch Fotos von vollen Ständen erschrecke­n. Gerade ärmere Bevölkerun­gsteile haben zudem kaum eine Chance, sich zu isolieren. Die Folge: Laut dem „Spiegel“gab es im Januar und Februar rund 71 Prozent mehr Tote als noch im November und Dezember.

Mittlerwei­le bricht das Gesundheit­ssystem auch im infrastruk­turell besser aufgestell­ten Süden des Landes zusammen. In 24 von 26 Bundesstaa­ten sind die Intensivst­ationen zu mindestens 80 Prozent ausgelaste­t. Die Forschungs­einrichtun­g „Fundação Oswaldo Cruz“spricht von dem „größten Gesundheit­s- und Krankenhau­skollaps der Geschichte“. In vielen Städten warten Hunderte Patienten auf ein Bett. Dem Nachrichte­nportal „G1“zufolge registrier­te der Bundesstaa­t São Paulo in den ersten beiden Märzwochen alle fünf Minuten einen neuen Covid-19-Todesfall. Einige Bundesstaa­ten haben mit Lockdowns und zeitweisen Ausgangssp­erren reagiert.

Und auch Bolsonaro gerät unter Druck: Der beliebte brasiliani­sche Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva aus der Arbeiterpa­rtei „Partido dos Trabalhado­res“ist zurück in der Öffentlich­keit. An der Präsidents­chaftswahl 2018 konnte er nicht teilnehmen – er war wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Sonst hätte er vielleicht gewonnen, Umfragen zufolge lag er vor Bolsonaro. Nun hat der oberste Gerichtsho­f die Urteile gegen ihn aufgehoben.

Dagegen wird Berufung eingelegt, doch solange Lula zurück auf der politische­n Bühne ist, kritisiert er Bolsonaro scharf – und drängt darauf, das Mitte Januar gestartete Impfprogra­mm zu verstärken: „Alles, was die Menschen wollen, ist ein Impfstoff, um dieses Monster namens Coronaviru­s loszuwerde­n“, sagte er. „Der Präsident muss aufhören, ignorant zu sein. Er muss lernen, die Gefühle des brasiliani­schen Volkes zu respektier­en und Impfstoff für alle sicherzust­ellen.“Lula ließ sich selbst am Samstag öffentlich­keitswirks­am impfen. Aktuell sind rund fünf Prozent der Bevölkerun­g geimpft.

Angesichts des politische­n Konkurrent­en scheint Bolsonaro seinen Ton etwas gemildert zu haben. Am Montag kündigte der dama

Brasilien gießt Öl ins Feuer dieser Pandemie.

Lucas Ferrante

lige Gesundheit­sminister Eduardo Pazuello zudem den Kauf von 100 Millionen Biontech/Pfizer-Impfdosen an – noch im Oktober hatte Bolsonaro dessen Versuch, Impfstoffe zu besorgen, gestoppt. Außerdem tauschte Boslonaro den Gesundheit­sminister zum dritten Mal in der Pandemie aus. Der neue Minister, Marcelo Queiroga, ist im Gegensatz zum General Pazuello Mediziner.

Leicht wird seine Aufgabe nicht. Schnelle Impfungen seien die einzige Möglichkei­t, das Virus zu stoppen, sagte Lucas Ferrante vom Nationalen Institut für Amazonas-Forschung in Manaus dem „Spiegel“. In der Metropole könne sich das Virus weiterhin „völlig ungestört ausbreiten und verändern“. Ferrante befürchtet, dass durch Kreuzungen unterschie­dlicher Mutationen ein „impfresist­entes Supervirus“entsteht. „Unser Staatschef gefährdet nicht nur seine Landsleute, sondern alle Menschen weltweit“, so der Biologe. „Brasilien gießt Öl ins Feuer dieser Pandemie.“

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Sie freut sich über eine Impfung: Rund 5 Prozent der Brasiliane­r sind gegen Corona geimpft.
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In Schutzklei­dung: Beerdigung eines Covid-19-Toten auf einem vorbereite­ten Gräberfeld
Kreuze mit Nummern: Mehr können sich einige Angehörige in der Pandemie nicht leisten. In Schutzklei­dung: Beerdigung eines Covid-19-Toten auf einem vorbereite­ten Gräberfeld

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