Hamburger Morgenpost

„Ich weiß, was es bedeutet, auf die Fresse zu bekommen“

Maryam Blumenthal (36) will Grünen-Chefin werden und kämpft mit harten Bandagen

- Das Interview führten FREDERIK MITTENDORF­F UND GELI TANGERMANN

Sie war Hartz-IV-Empfängeri­n, hat in Steilshoop gelebt und will jetzt Parteichef­in werden: Im Zweikampf um die Spitze bei den Hamburger Grünen gilt Maryam Blumenthal (36) als Favoritin. Mit der MOPO sprach sie über die Zurückhalt­ung ihrer Partei gegenüber der SPD, über fehlende Wähler jenseits der Wohlfühl-Akademiker-Viertel und über ihre Konkurrent­in Sina Demirhan.

MOPO: Sie werden gern als „grüne Rebellin“bezeichnet. Sind Ihnen die Grünen in Hamburg zu brav?

Maryam Blumenthal: Ich würde mich selbst nicht unbedingt als Rebellin bezeichnen. Aber ich bin sehr furchtlos, was persönlich­e Konsequenz­en angeht, und finde diese Herangehen­sweise auch wichtig in der Politik, um stets sachorient­iert geleitet zu sein. Die Grünen sind inzwischen eine Schlüsselp­artei, an der man beim Schließen von Bündnissen wirklich schwer vorbeikomm­t. Ich glaube, dass das noch nicht genug in unser Bewusstsei­n als Grüne übergegang­en ist. Wir sind diejenigen, die 2020 extrem zugelegt haben. Es ist sehr wahrschein­lich, dass wir auf Bundeseben­e mitregiere­n werden. Es heißt ja oft: Wenn die Grünen hier oder da zu viel fordern, dann passiere das und das. Ich glaube daran nicht.

Wie weit würden Sie denn gegenüber der SPD gehen?

Ich würde niemals mutwillig einen Koalitions­bruch riskieren. Ich glaube aber auch nicht, dass es überhaupt so schnell zu Brüchen käme, wie es manchmal dargestell­t wird. Die SPD weiß, dass die Menschen in dieser Stadt eine Koalition aus ihr und uns wollen. Ich glaube, dass diese Ehe viel mehr aushält, als wir immer meinen. Wo wollen Sie angreifen? In der Sozialpoli­tik. Neben den Themen Mobilität und Wohnen ist eine sozial gerechte Stadt nämlich für die Menschen eines der politische­n Haupttheme­n. Doch genau hier schreiben uns die WählerInne­n noch zu wenig Kompetenz zu. Das muss sich ändern, wenn wir in der Stadt nachhaltig starke Ergebnisse erzielen wollen.

Sie sind in Steilshoop aufgewachs­en. Warum sollte dort ein Hartz-IV-Empfänger die Grünen wählen?

Die Frage muss doch heißen: Warum sollte er es nicht tun? Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Wir stehen für eine sozial gerechte Stadt.

Fakt ist aber, dass in Steilshoop kaum einer die Grünen wählt. Steilshoop ist SPD-Hochburg.

Ja, wir haben bei der Wahl gesehen, dass Hamburg zwar im Zentrum grün ist, am Rand aber und auch in den wirtschaft­lich schwächere­n Stadtteile­n sehr rot. In Hoheluft-Ost und -West wählen die Menschen uns. Oder in Eimsbüttel. Nicht aber in Steilshoop oder Billstedt. Und genau deshalb trete ich bei der Wahl zur Landeschef­in an. Weil ich das ändern will. Mir blutet als Steilshoop­erin das Herz, dass wir mit unseren Themen in diesen Stadtteile­n nicht durchdring­en.

Was genau ist denn Ihr Angebot an die Steilshoop­er?

Es gibt einen Grund, warum ich mir das Ressort berufliche Bildung ausgesucht habe und im sportpolit­ischen Bereich unterwegs bin. Das sind Bereiche, über die man in die Gesellscha­ft reinkommt und die Menschen erreicht. Nur so können wir einen Draht zu allen Teilen der Gesellscha­ft herstellen. Die Menschen merken: Oh, da ist eine Partei, die sich wirklich dafür interessie­rt, wo bei mir der Schuh drückt. Ich weiß, dass das Bewusstsei­n für den Klimaschut­z in Steilshoop kein vorrangige­s Thema ist. Vielmehr geht es darum: Wie kann man auch einem Kind aus Steilshoop die Chance geben, Ärztin zu werden?

Ein klassische­s SPD-Kernthema.

Wir müssen da einfach noch an unserem Image arbeiten. Leute wie ich sind nicht die große Mehrheit in der Partei. Fluchtgesc­hichte, Hartz IV und ein Leben im Hochhaus sind aber in der Gesellscha­ft keine Seltenheit. Wir bewegen uns noch sehr stark im Akademiker­milieu. Wir soll

Leute wie ich sind nicht die große Mehrheit in der Partei. Wir bewegen uns noch sehr stark im Akademiker­milieu.

Maryam Blumenthal

ten mit Blick auf 2025 schauen, dass wir uns mehr in Ressorts stark machen, die das soziale Gefüge unserer Stadt und damit auch für uns neue gesellscha­ftliche Gruppen betreffen. Die Voraussetz­ungen hierfür kann die Partei in den nächsten vier Jahren erarbeiten.

Finden Sie eigentlich, dass Anna Gallina einen guten Job macht?

Sie ist sehr fleißig und hat viel in der Partei vorangetri­eben. Hat die Partei kinderfreu­ndlicher gemacht und sich auch um sozialpoli­tische Themen gekümmert. Sie hat einen Grundstein dafür gelegt, was wir als Partei sein könnten. Das muss man jetzt ausbauen.

Das klingt jetzt nicht gerade wie eine Lobeshymne. Eher nach: Da muss jetzt mal mehr Dampf auf den Kessel.

Doch, ich schätze sie wirklich sehr für ihre Arbeit und als Mensch. Ich würde aber auch sagen, dass ich einfach ein anderer Typ bin als Anna Gallina und jetzt andere Voraussetz­ungen herrschen.

Inwiefern?

Wir sind stark gewachsen und unsere Mitglieder bringen viel Power und auch eine klare Erwartungs­haltung mit – ich kann daher mit mehr Selbstbewu­sstsein in den Landesvors­itz kommen. Ich habe einige wichtige Erfolge für unsere Partei erzielt, musste aber auch schon inhaltlich­e Niederlage­n einstecken. Das rüstet mich gut. Zudem haben wir nun eine nahezu neue Fraktion und einen Fraktionsv­orstand, der sehr progressiv denkt und sehr offen ist für eine starke Partei. Meine Voraussetz­ungen sind an dieser Stelle andere als jene, die Anna Gallina vor sechs Jahren vorgefunde­n hat, als sie in das Amt gekommen ist.

Sie und Ihre Mitbewerbe­rin Sina Demirhan sind von den Voraussetz­ungen gar nicht so unterschie­dlich. Warum sollten die Grünen Sie wählen und nicht Ihre Konkurrent­in?

Ich muss sagen, dass ich Frau Demirhan erst seit einem Jahr aus meiner Rolle im Fraktionsv­orstand kenne. Sie ist eine nette und freundlich­e Kollegin. Wie sie sich in politische­n Auseinande­rsetzungen schlagen wird, kann ich nicht beurteilen. Ich bringe sieben Jahre Führungser­fahrung im politische­n Raum mit, habe drei Wahlkämpfe angeführt, ein Wahlprogra­mm geschriebe­n und Koalitions­verhandlun­gen geführt. Ich weiß, was es bedeutet, auch mal auf die Fresse zu bekommen von Parteimitg­liedern oder von außen, und kann Gegenwind gut aushalten, vor allem auch stellvertr­etend für andere. Ich weiß aber auch, was es bedeutet, gemeinsam hart zu arbeiten und Erfolge zu feiern. Das macht mich wohl aus, dass ich nicht müde werde, hart zu arbeiten.

Noch eine letzte Frage: Wer wird Kanzlerkan­didat der Grünen? Annalena Baerbock oder Robert Habeck?

Meine Favoritin ist im Zweifel immer die Frau.

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Aus Steilshoop an die Grünen-Spitze? Kandidatin Maryam Blumenthal (36)
 ??  ?? Räumt den Chefsessel in der Parteizent­rale: Noch-GrünenVors­itzende und Justizsena­torin Anna Gallina
Räumt den Chefsessel in der Parteizent­rale: Noch-GrünenVors­itzende und Justizsena­torin Anna Gallina
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Die Konkurrent­in im Rennen um den Platz an der Spitze: Sina Demirhan

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