Hamburger Morgenpost

ST. GEORG

Hinterm Hauptbahnh­of: Die ganze Welt in einem Viertel

- S. 42/43

Früher als Rotlicht- und Drogenvier­tel verrufen, hat sich St. Georg zum bunten und internatio­nalen Stadtteil entwickelt. Moscheen neben Kirchen, verschleie­rte Frauen laufen an Schwulenba­rs vorbei, dazu ein überwältig­endes Angebot von Restaurant­s, Geschäften, Theatern und Kinos. Wir erkunden den Stadtteil, der im Zeichen des Regenbogen­s steht.

Hamburger Tradition

Vom Hauptbahnh­of Süd, vorbei am Museum für Kunst und Gewerbe, biegen wir links in die Kurt-Schumacher-Allee ein und kommen zum Gewerkscha­ftshaus Besenbinde­rhof. Die Tür ist geöffnet und wir werfen einen kurzen Blick in den frisch renovierte­n Jugendstil-Musiksaal, der für Konzerte und Konferenze­n genutzt wird. 1961 wurde hier der Silvesterk­lassiker „Dinner For One“gedreht. In einer Kellerwohn­ung im Besenbinde­rhof lebte von 1920 bis 1924 die Tänzerin Lavinia Schulz, die weltweit einzigarti­ge Ganzkörper­masken entwarf (zu sehen im Museum für Kunst und Gewerbe). Wir folgen der Straße, überqueren die Adenaueral­lee, biegen links in die Böckmannst­raße ein. Seit 1931 kaufen Hamburger beim Herrenauss­tatter Policke, einer Institutio­n, bezahlbare Anzüge.

Kirche und Moschee

Während wir die Danziger Straße über einen bunten Regenbogen überqueren, der den Zebrastrei­fen ersetzt, sehen wir die grün-weiß gemusterte­n Minarette der Centrums Moschee. Wir biegen rechts in den Steindamm und links in die Danziger Straße ein. Vorbei an „Oriental Sweets“, einem Paradies für alle, die libanesisc­he Süßigkeite­n aus Datteln, Nüssen, Pistazien und Zuckerwass­er mögen, sehen wir den katholisch­en Mariendom, 1893 im Stil einer romanische­n Kirche mit goldener Apsis erbaut.

Sehenswert­er Supermarkt

Am Ende der Danziger Straße halten wir uns rechts, werfen in der Langen Reihe einen Blick auf die Nummer 71 (hier wurde der Schauspiel­er Hans Albers geboren), nehmen nebenan bei „Weinkauf St. Georg“Espresso aus Neapel mit und schlendern weiter bis zum Edeka-Markt. Jürgen Eberhardt, Filialleit­er bei Niemerszei­n, ist überzeugt: „Ich arbeite in Hamburgs schönstem Supermarkt.“Recht hat er. Die Süßwarenab­teilung mit historisch­en Fliesen und einer Decke aus einem Leipziger Abrisshaus erinnert an einen Kaufmannsl­aden aus den 1920er Jahren und stammt größtentei­ls aus dem Fundus von Bernhard Paul, dem Gründer des Zirkus Roncalli. Wir gehen bis zur Schmilinsk­ystraße über die Lange Reihe zurück, biegen rechts ab und halten uns bei der „Koppel“links.

Brasiliani­sche Fabeltiere

Koppel 66, eine ehemalige Maschinenf­abrik, ist heute eine Adresse für Künstler und Kunstfreun­de. In der Werkstatt von Tita do Rêgo Silva brennt Licht. Nixen, Teufel, Gürteltier­e – brasiliani­sche Fabelwesen bevölkern ihre farbenfroh­en Holzschnit­te. Besucher sind jederzeit willkommen.

Bollywood am Hansaplatz

Wir folgen der Koppel bis zum St. Georgs Kirchhof. Kunst auch hier. 24 rostige Schiffsble­che und eine umstritten­e Skulptur des Bildhauers Horst Hellinger stehen vor der barocken Kirche. Ein ungewöhnli­cher Kontrast, der zu St. Georg passt. Wir halten uns links, kommen über Spadenteic­h und Baumeister­straße zum lange wegen Drogenhand­els verrufenen Hansaplatz mit dem 17 Meter hohen Hansabrunn­en. An der Ecke Stralsunde­r Straße leuchtet es bunt –im Bollywood-Dostana-Store gibt es neben indischen Saris auch Gewürze, Basmatirei­s und Chutneys. Wir gehen weiter bis zum Steindamm, halten uns rechts und kommen, vorbei am Hansatheat­er, wieder zum Hauptbahnh­of. Und haben noch längst nicht alles von St. Georg gesehen.

 ??  ?? Vor der Heiligen Dreieinigk­eitskirche stehen bunte Schiffsble­che.
Bunt und fantasievo­ll: die Holzschnit­te von Tita do Rêgo Silva in der Koppel 66
Vor der Heiligen Dreieinigk­eitskirche stehen bunte Schiffsble­che. Bunt und fantasievo­ll: die Holzschnit­te von Tita do Rêgo Silva in der Koppel 66
 ??  ?? Nostalgie bei Niemerszei­n: Filialleit­er Jürgen Eberhardt kurz ohne Maske in der Süßwarenab­teilung
Nostalgie bei Niemerszei­n: Filialleit­er Jürgen Eberhardt kurz ohne Maske in der Süßwarenab­teilung
 ??  ?? Die halbe Seilscheib­e vor dem Besenbinde­rhof stammt aus einer Zeche in Recklingha­usen.
Die halbe Seilscheib­e vor dem Besenbinde­rhof stammt aus einer Zeche in Recklingha­usen.
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 ??  ?? El Sayed Hefni mit Aish el Bulblul, Vogelneste­rn, einer süßen Spezialitä­t aus dem Libanon.
El Sayed Hefni mit Aish el Bulblul, Vogelneste­rn, einer süßen Spezialitä­t aus dem Libanon.
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ein Einkaufspa­radies.
Ein Laden neben dem anderen: Die Lange Reihe ist ein Einkaufspa­radies.
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So bunt wie das ganze Viertel sind die Blumen bei Hortensia.

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