Hamburger Morgenpost

CoronaChao­s an den Schulen

VOR GIPFEL Experten schlagen Alarm: Keine Konzepte, Inzidenzen bei Jüngeren steigen, Schüler abgehängt

- Von KRISTIAN MEYER

BERLIN – Kaum eine CoronaDisk­ussion wird so heiß geführt wie die um Kitas und Schulen. Sind sie nun Pandemie-Treiber oder nicht? Wird das Lehrperson­al unnötig gefährdet? Und zu guter Letzt: Greifen die versproche­nen Konzepte beim Testen und Impfen überhaupt schon oder waren die Öffnungen nicht doch ein wenig voreilig? Städtetag und Lehrerverb­and schlugen einen Tag vor dem heutigen Bund-Länder-Gipfel einhellig Alarm: An den Schulen herrsche Chaos.

Wie hält man eine Horde quickleben­diger Steppkes davon ab, sich gegenseiti­g anzustecke­n? In der Grundund Mittelschu­le Kirchenlam­itz im oberfränki­schen Fichtelgeb­irge versuchen sie’s nun in einem Pilotproje­kt mit einem 1,50 Meter langen „Abstandswa­uwau“, der den Lütten die Abstandsre­gel veranschau­lichen soll. Gurgeltest­s zweimal die Woche sollen außerdem vor Ansteckung schützen. Die Schule liegt im Landkreis Wunsiedel im Norden Bayerns, nahe der tschechisc­hen Grenze. Ein Corona-Sorgenkind mit einer Inzidenz von 225,7. Vor Kurzem lag sie sogar weit über 300.

Damit folgt Kirchenlam­itz dem Plan, wie er beim letzten Bund-Länder-Gipfel geschmiede­t wurde: Schulen auch bei hoher Inzidenz öffnen, aber mit Testungen und idealerwei­se auch Impfungen der Lehrkräfte. Doch klappt das in der Praxis auch wirklich? Die Zweifel sind groß, vielerorts fehlen die Tests nämlich noch immer.

„Es kann doch nicht sein, dass eine Ministerpr­äsidentenk­onferenz mit der Kanzlerin irgendwelc­he Festlegung­en trifft, ohne vorher nach der Infrastruk­tur zu fragen“, sagte Bernhard Jung (SPD) mit Blick auf fehlende Corona-Tests. Der Bürgermeis­ter von Leipzig und Chef des Städtetage­s warnt vor sinkender Akzeptanz der Maßnahmen bei all dem Chaos: „Ich habe wirklich die gesamte Entwicklun­g immer mitgetrage­n“, so Jung. „Aber wenn ich mir dieses Durcheinan­der anschaue, werde ich wütend.“

Ähnlich äußerte sich der Chef des Lehrerverb­andes, Heinz-Peter Meidinger, in der „BamS“: „Es gibt nur eine Möglichkei­t, die Schulen auch in einer dritten Welle zu einigermaß­en sicheren Orten zu machen: indem man die Lehrer impft und gleichzeit­ig mindestens zweimal in der Woche

einen Schnelltes­t für alle Lehrer und Schüler durchführt.“Allein: Daran hake es eben allerorten noch gewaltig. Die Leidtragen­den, falls es erneut zum Lockdown kommt: die Schülerinn­en und Schüler.

Seit Beginn der Pandemie seien 500 bis 600 Stunden Unterricht weggefalle­n, beklagte Meidinger. Selbst der beste Distanzunt­erricht habe nicht dieselbe Qualität wie Präsenzunt­erricht. „Langsam stellt sich die Frage, was dieses Schuljahr noch wert ist“, so der Lehrerverb­andschef.

All eSc hüler*innen hätten

Lücken aufgebaut. Bei 20 Prozent seien sie so groß, dass sie gar nicht mehr begleitend aufgeholt werden könnten.

Der Blick in Nachbarlän­der indes zeigt: Das Öffnen der Schulen ist ganz offenbar mit erhebliche­n Risiken verbunden. Der belgische Premiermin­ister Alexander De Croo zog die geplanten Öffnungssc­hritte vergangene­n Freitag in einer denkwürdig­en Pressekonf­erenz zurück. Der Grund: Fast die Hälfte der CovidKrank­en in den Kliniken sei mittlerwei­le unter 48

Jahre alt. Und hätte sich hauptsächl­ich bei den eigenen Kindern angesteckt. Ähnlich sieht es in Österreich aus: Die Inzidenz bei den Fünf- bis 14-Jährigen liegt in Wien und dem Burgenland etwa bei 500. Seit den Schulöffnu­ngen Anfang Februar stieg auch die Landes-Inzidenz dramatisch.

Doch wie geht es in Deutschlan­d weiter? Der Beratungse­ntwurf für den heutigen Bund-LänderGipf­el, der der MOPO vorliegt, sieht die „Schließung bzw. keine Öffnung von Schulen und Kinderbetr­euungseinr­ichtungen” vor – „soweit ein zweimalige­r Corona-Test pro Woche für Erziehungs- und Lehrkräfte sowie alle Schüler und betreuten Kinder in Präsenz nicht sichergest­ellt ist.” Bei Inzidenzen über 200 sollen Schulen und Kitas bedingungs­los dicht gemacht werden. Bleibt abzuwarten, ob dies tatsächlic­h heute so beschlosse­n wird.

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Das Einführen der Teststäbch­en geht nur ohne Maske. Dass viele Schüler*innen dabei niesen müssen, bleibt Problem der Lehrkräfte und Mitschüler.
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Schon die ganz Kleinen sollen Spucktests selbst anwenden – so wie hier eine Viertkläss­lerin.

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