Hamburger Morgenpost

„Muslimisch­e Frauensind mehr als nur ein Kopftuch“

KUNSTPROJE­KT Was ein Stipendium fürs Nichtstun mit Selbstermä­chtigung zu tun hat

- Von EISABETH SCHRÖDER

Feministin und Muslimin als Widerspruc­h? Weit gefehlt: Eine Gewinnerin des Stipendium­s für Nichtstun von der Hochschule für bildende Künste legt eine Woche lang ihr Kopftuch ab und zeigt ihre drei Millimeter kurzen Haare. Damit will sie in einem Zuge gegen gleich zwei typische Rollenbild­er angehen. Alle Bewerbunge­n sind im Museum für Kunst und Gewerbe ausgestell­t.

Die Initiatore­n der drei mit jeweils 1600 Euro dotierten Stipendien von der Hochschule für bildende Künste (HFBK) haben ein seltenes Anliegen: Sie wollen das Nichtstun fördern.

Doch geht es bei dem Stipendium um mehr als die reine Untätigkei­t. Friedrich von Borries, Initiator und Hochschulp­rofessor an der HFBK, erklärt im Gespräch mit der MOPO: „Wir möchten zeigen, dass das Nichtstun auch positive Effekte haben kann. Gerade in einer Welt, die vom Konsum geprägt ist und in der jeder immer alles erreichen möchte. Da kann es heilsam sein, Sachen einfach nicht mehr zu tun.“

Die mehr als 2800 Bewerbungs­schreiben sind Teil der Ausstellun­g „Schule der Folgenlosi­gkeit – Überlegung­en für ein anderes Leben“im Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G). Folgenlosi­gkeit also in Zeiten, in denen jeder der Welt seinen Stempel aufdrücken möchte.

Aber: Die Ausstellun­g löste weltweit Aufmerksam­keit aus. Bewerbunge­n trudelten sogar aus Indien und Brasilien ein.

Unter den drei Gewinnerin­nen ist die Sozialpäda­gogin Hilistina Banze (31). Mit ihrer Aktion will sie aufrütteln: Gegen die Vorurteile, die ihr als schwarzer muslimisch­er Frau durch das Stück Stoff um den Kopf entgegenge­bracht werden. Gegen das ständige Reduziertw­erden auf das Tuch. Gegen die ständigen Rechtferti­gungen.

Banze erklärt: „Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass muslimisch­e Frauen mehr sind als nur ein

Kopftuch.“Denn ihr „Nichtstun“im Rahmen des Projekts ist es, eine Woche lang das Kopftuch morgens nicht anzulegen und ihre drei Millimeter kurzen Haare zu zeigen.

„Ich halte diesen Schritt für einen Akt der Selbstermä­chtigung“, sagt Banze. Und: „Für viele werden meine kurzen Haare ein Dorn im Auge sein. Viele empfinden das als unweiblich.“

Somit geht die Sozialpäda­gogin gleich gegen zwei Rollenbild­er an: das der muslimisch­en kopftuchtr­agenden Frau. Und dann noch gegen das der westlichen Frau, mit den langen wallenden Haaren.

Auch viele der anderen Bewerber würden sich gegen typische Erwartungs­haltungen und Rollenklis­chees auflehnen, erzählt von Borries. Und genau das sei das Ziel. In eine andere Welt einzutauch­en, in der es heißt: Verzicht zu üben, Glaubenssä­tze zu verlernen, statt zu lernen, Entscheidu­ngen abzugeben.

„Es wäre toll, wenn mehr Menschen realisiere­n, dass auch durch die Untätigkei­t viel erreicht werden kann. Das war schon bei den Stoikern und alten Griechen bekannt“, erzählt der Hochschulp­rofessor.

Die Initiative von Hilistina Banze zeigt genau das: Etwas nicht zu tun, kann im Außen eine große Strahlkraf­t entfalten. Man müsse dafür nur mutig genug sein, betont der Initiator.

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„Nichtstun kann positive Effekte haben“, erklärt HFBK-Professor Friedrich von Borries das Projekt.
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Hilistina Banze (31) will mit einer Kunstaktio­n gegen typische Rollenbild­er angehen.

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