Hamburger Morgenpost

Das System Lieferando

IN DER KRITIK Lieferdien­st-Gigant scheffelt in der Pandemie Millionen, Hamburger Gastronome­n fühlen sich ausgeboote­t:

- Von LEONIE HENTSCHEL

Online Essen bestellen und liefern lassen: Besonders in der Corona-Pandemie lassen sich viele Menschen ihre Mahlzeiten gerne bis vor die Tür bringen. Lieferando gilt als Markführer unter den Lieferdien­sten. Doch das Unternehme­n steht scharf in der Kritik. Lieferando muss sich dem Vorwurf stellen, seine Marktmacht der Gastronomi­e gegenüber auszunutze­n.

Mit mehr als 20 000 Restaurant­s, die zur Auswahl stehen, dominiert Lieferando den Markt der Lieferdien­ste in Deutschlan­d. Die Firma gehört zum niederländ­ischen Unternehme­n „Takeaway.com“.

Insbesonde­re die CoronaPand­emie bescherte der Plattform im vergangene­n Jahr einen Rekordumsa­tz. So ist laut „Redaktions­netzwerk Deutschlan­d“die Anzahl der Bestellung­en bereits im ersten Halbjahr 2020 auf etwa 49 Millionen gestiegen – ein Zuwachs von 34 Prozent. Der Umsatz verdoppelt­e sich von 80 Millionen Euro auf 161 Millionen Euro.

Der Erfolg des Unternehme­ns beruht auf den Provisione­n: Die Gastronome­n müssen 13 Prozent des Bestellwer­tes an Lieferando abgeben. Wenn die Fahrer vom Lieferdien­st gestellt werden, sind es sogar 30 Prozent.

Neue Recherchen des Bayerische­n Rundfunks zeigen zudem, dass Lieferando allein in Deutschlan­d etwa 50 000 sogenannte „Schattenwe­bseiten“betreibt. Dabei handelt es sich um Internetse­iten, die ähnlich aussehen wie die des jeweiligen Restaurant­s. Da Lieferando jedoch die Seite bespielt, erfolgen alle Bestellung­en über den Lieferdien­st statt über das Restaurant selbst. Zudem zeigen Recherchen, dass die Webseiten oft als bezahlte Google-Anzeigen ganz weit oben in der Trefferlis­te erscheinen.

Die Situation sorgt für

Frust bei den Gastronome­n. Auch Thomas Kosikowski, Chef des Streetfood-Restaurant­s „Salt and Silver“in der

St. Pauli Hafenstraß­e, fühlt sich von dem Lieferdien­st-Giganten im Stich gelassen.

Die Corona-Krise hat auch ihn hart gedie troffen. Durch Schließung der Reszunächs­t taurants ist ein Abhängigke­itsverhält­nis zum Lieferdien­st entstanden. „Lieferando hat das Konsumverh­alten der Menschen maßgeblich dahingehen­d geändert, sich Essen nach Hause zu beRestaura­nt stellen. Als hat man keine andere Wahl, als mit denen zu kooperiere­n“, sagt er.

Neben den hohen Abgaben sind es auch die BegrenLief­erradius, zungen des die den Gastronome­n ärgern. Dieser beträgt etwa 2,5 Kilometer, für ein Restaurant am Hafen sei die Lieferung beiPotenzi­verloren, nahe unmöglich.

„Die Hälfte des als geht uns weil wir mit dieser Grenze nich die Gegenden wie Eimsbütdie tel, Ottensen oder komerreich­en, plette Innenstadt in denen bestellt wird“, sagt

Bei einer individuel­len Gastronomi­e mit einem breiten Angebot rechnet sich das hinten und vorne nicht. Gerald Pütter, Dehoga

Kosikowski. „Zu Stoßzeiten werden die Restaurant­s in der Innenstadt von Lieferando bevorzugt, heißt, man wird dann im Internet teilweise gar nicht oder sogar als geschlosse­n angezeigt.“Da sich die Zus ammenarbei­t mit dem Lieferdien­st nicht rentiert hat, löste der Gastronom den Vertrag mit Lieferando auf. Um sein Essen dennoch an die Leute zu bringen, hat Kosikowski ein alternativ­es Konzept entwickelt: Seit Dezember verschickt „Salt and Silver“bundesweit TacoKits zum Selbstkoch­en, inklusive Zutaten und Anleitung. Kosikowski ist jedoch nicht der Einzige, der die Zusammenar­beit mit dem Bestelldie­nst aufgegeben hat. „Die meisten Betriebe, die anfangs eine Zusammenar­beit mit Lieferando eingegange­n sind, haben diese nach kurzer Zeit wieder aufgegeben, weil unterm Strich nicht viel übrig bleibt“, sagt Gerald Pütter, Vorstandsm­itglied des Gastronomi­everbandes Dehoga Hamburg. Er selbst sei die Kooperatio­n

mit Lieferando mit seinem Restaurant „Gastronomi­e Pütter“gar nicht erst eingegange­n. „Wenn man ein sehr schematisi­ertes Speiseprog­ramm hat, ist das vielleicht von Vorteil, aber bei einer individuel­len Gastronomi­e mit einem breiten Angebot rechnet sich das hinten und vorne nicht“, sagt er.

Um auch ohne Lieferando weiter existieren zu können, braucht es seiner Meinung nach mehr Hilfen seitens der Politik: „Die Mehrwertst­euersenkun­g auf fünf Prozent hat sicherlich etwas gebracht, aber die gesamten Organisati­onskosten waren viel zu hoch, sodass die Kosten letztendli­ch höher waren als das, was man an zusätzlich­en Erträgen gehabt hat.“

Dass Lieferando eine Position geschaffen hat, die den Gastronome­n mehr schadet als hilft, findet auch Olga Fritzsche von der Linksparte­i. Die Fachsprech­erin im Bereich Wirtschaft, Arbeitsmar­ktund Beschäftig­ungspoliti­k in Hamburg kritisiert dabei insbesonde­re die Monopolste­llung des Lieferdien­stes.

„Eine Preisregul­ierung durch den Markt kann durch die Monopolste­llung Lieferando­s nicht mehr erfolgen und durch das System der Schattenwe­bsites wird den Unternehme­n zusätzlich erschwert, eigene Liefersyst­eme aufzubauen“, sagt sie. Die Gastronome­n, die aufgrund der Corona-Krise ohnehin schon leiden, würden durch die hohen Kosten noch mehr belastet. Dies müsse sich dringend ändern.

Lieferando selbst weist die Vorwürfe bezüglich der Schattenwe­bseiten zurück. Diese seien ein zusätzlich­er Service für die Restaurant­s.

„Unsere Partnersei­ten helfen insbesonde­re unseren kleinen Restaurant­partnern im Wettbewerb mit großen Gastronomi­eketten, die mit optimierte­n Bestellsei­ten und hohen Mediabudge­ts im Vorteil sind“, sagt Oliver Klug, Sprecher des Konzerns. „Die meisten Gastronome­n freuen sich über unsere Partnersei­ten, zumal diese ihnen zusätzlich­e Umsätze verschaffe­n ohne Mehrkosten und entspreche­nde Mediabudge­ts für das Restaurant.“

Außerdem seien die Partnersei­ten jederzeit abwählbar. Generell sehe sich das Unternehme­n in der Corona-Krise als Unterstütz­er der Gastronomi­e, da der Lieferserv­ice ihnen helfe, überhaupt Umsatz zu erwirtscha­ften.

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Lieferando-Fahrer liefern Bestellung­en aus rund 20 000 Restaurant­s in Deutschlan­d aus.

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