„Die Beschlüsse sind lebensfremd“
CORONA-GIPFEL Opposition kritisiert, Wissenschaft lobt
Fast 15 Stunden geredet, gestritten und verhandelt: Die Ergebnisse des Marathon-Corona-Gipfels der 16 Länderchefs mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stellen fast niemanden zufrieden, wie die Reaktionen am Tag danach zeigten. Lähmte ein Machtkampf das Gremium oder war es schlichte Hilflosigkeit?
Gegen Ende der Sitzung fielen einigen Teilnehmern schon fast die Augen zu. Es war die Kanzlerin, die für einen Alle-wieder-wachMoment sorgte: Sämtliche Geschäfte, Supermärkte und Betriebe sollten vom 1. bis zum 5. April komplett geschlossen bleiben, schlug sie kurz vor Mitternacht vor. Ausgeheckt hatte sie den Vorstoß mit Markus Söder (CSU), Olaf Scholz und Berlins Bürgermeister Michael Müller (beide SPD).
Nach einigen Diskussionen stimmte die Runde schließlich zu. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zuvor noch die Öffnung der Supermärkte am Karsamstag durchgesetzt: „Eine Schließung hat es bisher aus gutem Grund noch gar nicht gegeben“, argumentierte er. Dass es überhaupt zu einem härteren Lockdown kam, ist eine Überraschung. Schließlich war im Vorfeld eher vom Gegenteil die Rede: Weil sich die Bundesbürger über Weihnachten vernünftig verhalten hätten, könne man nun auch über Ostern Zugeständnisse machen, war der Tenor bei einigen. Doch die wieder steigenden Infektionszahlen überzeugten dann wohl auch die letzten Zweifler in der Runde. Zumindest bis auf Weiteres.
Vor allem Manuela Schwesig (SPD, Meck-Pomm) und Daniel Günther (CDU, Schleswig-Holstein) hatten mit Blick auf die eigene Tourismusindustrie für Lockerungen gekämpft. Sie wollten einen „kontaktarmen Osterurlaub“im Inland ermöglichen. Vor dem Treffen hatte auch Söder mit der Möglichkeit geliebäugelt. Ihm war es am Ende aber wohl wichtiger, fest im „Team Vernunft“zu stehen, wie er es nennt. Also auf Seiten der Öffnungs-Bremser.
Die Opposition ließ gestern kein gutes Haar an dem Gipfeltreffen. „Die Beschlüsse atmen die vollständige Abkopplung von der Lebensrealität vieler Familien“, kritisierte FDP-Chef Christian Lindner. Er nannte es „lebensfremd“, dass etwa geimpfte Großeltern über Ostern nicht ihre Kinder und Enkel besuchen dürften.
Linke und Grüne gaben der Bundesregierung die Schuld daran, dass es nun erneut zu Verschärfungen kommt. „Der Oster-Lockdown ist wesentlich ein Weil-es-die-Bundesregierung-vergeigt-hat-Lockdown“, schrieb Linksfraktionschef Dietmar Bartsch bei Twitter. Die Regierung habe das Land „in die Sackgasse geführt“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin GöringEckardt. Die AfD sprach von „Willkür“und „Kopflosigkeit“.
Lob gab es aus Teilen der Wissenschaft und Medizin. „Die Politik hat erkannt, dass wir in einer schwierigen Phase der Pandemie sind und die Impferfolge nicht gefährden dürfen“, lobte beispielsweise der Intensivmediziner Gernot Marx. Auch das Robert-Koch-Institut äußerte sich hoffnungsvoll.
Ein Weil-es-dieBundesregierungverbockt-hatLockdown. Dietmar Bartsch (Linke)