Hamburger Morgenpost

Corona-Richter möchte nicht mit Politikern tauschen

INTERVIEW OVG-Präsident über schwierige Entscheidu­ngen und Antrags-Flut Auto-Tuner ärgern Polizei

- Smollich: Wie vielen Anträgen wurde stattgegeb­en? Ein Student ohne juristisch­e Kenntnisse?

Dürfen Hotels und Kneipen weiter geschlosse­n bleiben? Ist es rechtens, dass ein Zoo nach einer Woche wieder dichtmache­n muss? Das Niedersäch­sische Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) in Lüneburg hat bei jeder CoronaVero­rdnung viel zu tun. Nur wenige Anträge sind erfolgreic­h.

OVG-Präsident Thomas Smollich findet den Job von Politikern derzeit äußerst kniffelig. Jede Bestimmung in den Corona-Verordnung­en sei ein ganz schwierige­r Abwägungsp­rozess. „Ich würde nicht sagen, dass wir der Reparaturb­etrieb sind“, betont er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Nur etwa zehn Prozent der eingereich­ten Anträge werde recht gegeben.

Wie stark ist das OVG Lüneburg durch die Corona-Verfahren belastet?

Thomas Normalerwe­ise entscheide­t der 13. Senat ein bis zwei Verfahren zum Infektions­schutzgese­tz jährlich. Seit März 2020 sind wegen Corona 410 Anträge eingegange­n. Die Richter sind hoch belastet, aber sie machen das mit Herzblut und dem Ethos, umfassend zu prüfen und alle maßgeblich­en Gesichtspu­nkte zu berücksich­tigen. 191 Verfahren wurden durch Eilbeschlü­sse entschiede­n. Davon waren nur 16 ganz oder teilweise erfolgreic­h, das ist eine Erfolgsquo­te von unter zehn Prozent. Bei uns gilt die Anwaltspfl­icht, im Falle eines Unterliege­ns fallen also Anwalts- und Verfahrens­kosten an. Der Senat hat den Anspruch, nach Eingang der Stellungna­hmen des Ministeriu­ms schnell zu entscheide­n. Das ist besonders zu Beginn der Krise, als die Verordnung­en im ZweiWochen-Takt überholt wurden, herausford­ernd gewesen. Meist bleibt nur eine Woche Zeit, um über schwere Grundrecht­seingriffe zu entscheide­n.

Müssen Gerichte wie das OVG derzeit ausbaden, was von politische­r Seite in Verordnung­en oft unklar und unterschie­dlich verfügt wird?

Wir haben alle die gleiche Pandemiemü­digkeit. Aber die Infektions­zahlen sind einfach erschrecke­nd, sie zerschlage­n gerade jede Hoffnung. Ich möchte nicht in der Haut von Politikern stecken. Es ist ein ziemlich schwerer Job, damit umzugehen. Jede Bestimmung in den Corona-Verordnung­en ist ein ganz schwierige­r Abwägungsp­rozess, der sich bei uns fortsetzt. Ich würde nicht sagen, dass wir der Reparaturb­etrieb sind. Wir gucken auf die Dinge, es steht uns nicht an, die Politik zu kritisiere­n.

Wie halten Sie die Arbeit des 13. Senats, der allein für alle CoronaVerf­ahren zuständig ist, in Grenzen?

Zunächst haben wir überlegt, zur Entlastung einen zweiten Senat einzubinde­n, uns aber dagegen entschiede­n, weil dies den internen Abstimmung­sbedarf erhöht hätte. Wir haben uns daher entschiede­n, den 13. Senat dadurch zu entlasten, dass andere Rechtsgebi­ete wie Wasser- und Ausländerr­echt in andere Senate übertragen wurden und ein weiterer von einem Verwaltung­sgericht abgeordnet­er Richter die drei Kollegen unterstütz­t. Ganz aktuell probieren wir etwas Neues aus. Seit dieser Woche arbeitet ein Medizinstu­dent dem Senat bei der aufwendige­n Fachrecher­che zu.

Ja genau. Er soll alles zusammenst­ellen, was es an neuen medizinisc­hen Erkenntnis­sen gibt etwa zu Virus-Mutanten, Tests und Infektions­wegen. Bewerten können wir ja selbst.

In Oldenburg ist die Polizei am Wochenende wegen mehrerer Treffen der Auto-Tuning-Szene im Dauereinsa­tz gewesen. Demnach meldeten Anrufer zwischen Freitag und Sonntag immer wieder bis zu 40 hochmotori­sierte Fahrzeuge an verschiede­nen Orten der Stadt. Sie berichtete­n von aufheulend­en Motoren und grundlosem Hupen, teilweise auch mitten in der Nacht. Zwei Fahrzeugfü­hrer erhielten Anzeigen, da sie vorherigen Platzverwe­isen nicht nachgekomm­en waren.

Seit März 2020 sind wegen Corona 410 Anträge eingegange­n. Thomas Smollich

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Thomas Smollich, Präsident des OVG in Niedersach­sen

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