Hamburger Morgenpost

Dieses Bild ist ein Armutszeug­nis

STANDPUNKT 15 000 bei „Querdenken“-Protest in Stuttgart – Politik und Polizei wirken hilflos

- GELI TANGERMANN geli.tangermann@mopo.de

Reporter werden bedrängt, es wird gepöbelt und gedrängelt. Tausende ziehen durch Stuttgarts Straßen und pfeifen dabei kollektiv auf jegliche Corona-Sicherheit­smaßnahmen. Maske? Abstand? Halten die selbst ernannten „Querdenker“für überflüssi­g – und machen ihren Protestzug damit zum potenziell­en Supersprea­der-Event, während der Rest des Landes mühsam im Lockdown gegen steigende Zahlen ankämpft. Das allein macht wütend und fassungslo­s.

Das eigentlich Schlimmste an der Veranstalt­ung in Stuttgart aber ist: Allen Verantwort­lichen war klar, dass es so kommen würde – Politik und Behörden ließen die CoronaLeug­ner trotzdem gewähren. Und kapitulier­ten damit vor Verschwöru­ngstheoret­ikern, Rechtsextr­emen und Menschen, die unser aller Gesundheit gefährden. Ein Armutszeug­nis.

Stuttgarts Ordnungsbü­rgermeiste­r Clemens Maier (Freie Wähler) stellte noch am Sonntagvor­mittag selbstzufr­ieden fest: „Wir haben das Beste draus gemacht.“Die Menschen ohne Maske nach Hause schicken? Für Maier keine Option. Man könne schließlic­h nicht die ganze Stadt abriegeln.

Zur Erinnerung: Vorher hatten Polizeibea­mte bei Demonstran­ten Sturmhaube­n und Pyrotechni­k sichergest­ellt. Beamte waren verletzt worden. Einem ARD-Reporter war ein Gegenstand an den Kopf geflogen.

Die meisten Bundesbürg­er hocken seit Monaten im Lockdown. Entbehrung, Einsamkeit, Überforder­ung. Kollektive­r Verzicht, um das Virus endlich zu besiegen. Treffen nur mit einem anderen Haushalt. Kein Kino, kein Theater, Existenzän­gste.

Und die Corona-Leugner, die zum Teil selbst vor menschenve­rachtenden und geschichts­leugnerisc­hen Holocaust-Vergleiche­n nicht zurückschr­ecken, werden per Polizeiauf­gebot bei strahlende­m Sonnensche­in durch Stuttgart geleitet. Gefährden dabei sich und andere, werden freundlich gebeten, doch mal die Maske über die Nase zu ziehen – und wenn sie es eben nicht machen, tja. Dann demonstrie­ren sie trotzdem mit 15 000 Mann dicht an dicht, ziehen all die Bemühungen ihrer Mitbürger, all die Entbehrung­en geradezu ins Lächerlich­e.

Man kann jetzt immer mit dem guten alten Grundgeset­z kommen. Mit der Versammlun­gsfreiheit, mit dem Recht zu demonstrie­ren. Und ja, bitte schön! Sollen die Schwurbler gern ihre Plakate bepinseln – aber Politik und Polizei dürfen nicht zulassen, dass für sie andere Regeln gelten als für den Rest der Republik. In einer Zeit wie dieser ist der Weg des geringsten Widerstand­s schlicht zu wenig.

Die Diskussion darüber, ob dieses „Event“in dieser Form nicht einfach hätte verboten werden können, nimmt gerade Fahrt auf. Und die Verantwort­lichen müssen jetzt alles dafür tun, damit sich dieser Wahnsinn nicht wiederholt. Alles andere ist nicht nur gesundheit­sgefährden­d. Es ist auch keinem Bürger mit gesundem Menschenve­rstand mehr zu vermitteln.

 ??  ?? Maske? Abstand? Bei den Demonstran­ten in Stuttgart Fehlanzeig­e
Maske? Abstand? Bei den Demonstran­ten in Stuttgart Fehlanzeig­e
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany