Hamburger Morgenpost

„Der erste Lockdown war gruselig“

Hamburger Ärztin über Alltag und Kuriosität­en in der Notaufnahm­e

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„Wie ist die Lage?“heißt der (fast) tägliche Podcast der Gute Leude Fabrik und der Hamburger Morgenpost. Darin spüren wir tagesaktue­llen Fragen nach – zu Wort kommen Macher, Musikerinn­en, Models, Mütter und Politiker, genau wie Helfer, Schwestern, Schweißer, Freiberufl­er. Die Auswahl ist rein subjektiv, aber immer spannend und überrasche­nd. Heute macht dies „Einer kommt, alle machen mit“möglich. Die Gespräche finden über das Telefon statt. In der aktuellen Folge spricht PR-Profi Lars Meier mit Dr. Sara Sheikhzade­h, Leiterin der Notaufnahm­en der Asklepios Kliniken Harburg und St. Georg.

Lars Meier: Frau Sheikhzade­h, beim letzten Mal ging es um die Organisati­on der Notaufnahm­en und leichte Fälle wie eingewachs­ene Nägel. Wie gehen Sie mit den schwierige­n Fällen um und welche sind das? Dr. Sara Sheikhzade­h: Man denkt immer, dass es so wahnsinnig aufwendige Schockräum­e sind. Das sind die Räume mit ganz vielen Ärzten, wenn Patienten schwer verletzt zu uns kommen. Das nimmt einen natürlich auch extrem mit und macht einen fertig. Gerade wenn es junge Menschen sind. Aber ehrlich gesagt, sind die richtig schlimmen Fälle für mich die von richtig alten Menschen, die allein sind. Ich frage immer, wer sich um sie kümmert, weil das eine der klassische­n Fragen ist, um herauszufi­nden, wie alte Menschen versorgt sind. Wenn die sagen „Keiner“, dann ist das schlimm. Wenn alte Menschen in der Wohnung stürzen und erst nach Tagen gefunden werden. Das zieht mir immer ein bisschen die Schuhe aus. Die Hölle, in der die alten Menschen waren, weil sie tagelang hilflos und allein auf dem Boden lagen, bis irgendwer sie gefunden hat. Das sind die wirklich schlimmen Fälle. Richtig schlimm sind auch Patienten, die schlecht gepflegt worden sind oder sich selber nicht pflegen konnten und wundgesche­uert sind.

Kann man für die Aufnahme bei Ihnen „gut vorbereite­t“sein?

Wenn man chronisch krank ist, ist es immer sehr gut, wenn man seine Medikament­e immer dabeihat. Richtige „ProfiKrank­enhausbesu­cher“haben immer den aktuellen Arztbrief dabei. Das hilft uns am meisten. Und natürlich ist eine Telefonnum­mer von Angehörige­n das A und O. Sonst kann man eigentlich nicht wirklich vorbereite­t sein.

Wo sollte man das haben? Gehen Sie ans Portemonna­ie?

Ja, wir machen das immer unter Zeugen. Wenn wir überhaupt nichts wissen, ist es immer so, dass wir das Geld zählen. Wenn zum Beispiel jemand bewusstlos im Schockraum ist, ziehen wir ihn aus und haben Patientene­igentumstü­ten. Das Geld des Patienten wird unter Minimum vier Augen durchgezäh­lt und der Betrag auf einem Zettel eingetrage­n, damit nichts verloren geht. Schmuck und dritte Zähne bewahren wir auch auf, weil sie genauso viel wert sind und es genauso gruselig ist, wenn sie verschwind­en.

Gab es auch mal lustige Fälle? Passiert so was überhaupt?

Meistens lachen wir miteinande­r. Etwas richtig Lustiges gab es eigentlich nicht. Vielleicht das vom Freitag, als jemand mit Tatütata und Riesen-Bohei angemeldet wurde, der sich wahrschein­lich verschluck­t hatte. Wir haben eine OP angehalten und waren mit zehn Mann dabei. Der Hubschraub­er kam und es stellte sich heraus, dass der Mensch sich an einem Schluck Saft verschluck­t hatte. Im Nachhinein haben wir darüber gelacht und waren auch ein bisschen erleichter­t, dass es kein schwerer Fall war. So richtig viel lachen wir allerdings eher miteinande­r, um auch eine entspannte Situation für uns und vor allem auch unsere jungen Mitarbeite­r zu haben.

Erschwerte Corona-Bedingunge­n gelten auch im Schockraum, oder?

Tatsächlic­h ist es so, dass wir bei Patienten, die wir nicht befragen können, in voller Montur da reinmüssen: mit Visier, FFP2-Maske und einem weiteren Kittel, unter dem man nach eineinhalb bis zwei Stunden auch richtig schwitzt.

Man hört oft von zu wenig Intensivbe­tten. Hatten Sie schon Tage, an denen es zu wenig Schockräum­e gab?

In der ersten Corona-Welle war es eher umgekehrt. Die erste Corona-Welle war gruselig. Plötzlich kam keiner mehr. Normalerwe­ise sind wir es gewohnt, schon am Morgen fünf Schockräum­e zu haben – Herzinfark­te, Schlaganfä­lle und so weiter. Gerade in den ersten Tagen des ersten Lockdowns habe ich mich gefragt, ob wir vorher die falsche Medizin gemacht haben und wo die Leute bleiben. Es war so ruhig und still, dass wir uns richtig nach einem Schockraum gesehnt haben und besorgt waren, dass die Leute aus Angst zu Hause bleiben und dadurch ihren Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll verpassen und dann später mit Folgen wiederkomm­en wie zum Beispiel einer schweren Herzinsuff­izienz. Das kam tatsächlic­h auch vor. Wir haben gesehen, dass die Leute zu spät zu uns kamen. Also: besser rechtzeiti­g kommen. Wir haben gute Wege und klare Abgrenzung­en, sodass man keine Angst haben muss, sich mit Corona anzustecke­n.

Passieren durch den Lockdown mehr Haushaltsu­nfälle? Und was sind typische Haushaltsu­nfälle?

Gartenunfä­lle, von der Leiter fallen, die klassische Avocadover­letzung: junge, sich gut ernährende Frauen, die mit dem Messer beim Avocadosch­neiden abgerutsch­t sind. Aber sehr häufig haben wir natürlich das Thema Straßenver­kehr. Die Haushaltsf­älle kamen übrigens auch in der ersten Corona-Welle deutlich weniger. Ich glaube, die Leute waren damals supervorsi­chtig, weil sie panische Angst hatten und wie wir nicht wussten, wie wir von Corona beeinträch­tigt werden.

Gibt es eine Arztserie, die Sie zur Entspannun­g schauen?

Ehrlich gesagt, ertrage ich keine Arztserien mehr. Als Studentin habe ich echt gern „Emergency Room“geguckt. Das war eine der ersten und einzigen Arztserien, die sehr echt waren. Das haben wir als Studenten geguckt, weil wir einfach scharf drauf waren, ins Medizinges­chäft einzusteig­en. Aber mittlerwei­le ertrage ich keine Arztserien mehr. Manchmal werde ich von meiner jungen Tochter dazu gebracht, Serien mit ihr zu gucken, weil das unser neues Lockdown-Ritual ist. Wenn die kleinere Tochter im Bett ist und ich ihr vorgelesen habe, gucken wir gemeinsam Serien auf Englisch, damit wir nicht einrosten.

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Heute: Dr. Sara Sheikhzade­h
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