Hamburger Morgenpost

Wie sich Familien helfen können

Strategien gegen den Lagerkolle­r:

- ANNALENA BARNICKEL annalena.barnickel@mopo.de

Rund zwei Drittel aller jungen Menschen fühlen sich dieser Tage einsam und sagen von sich, dass sie psychisch belastet sind oder Zukunftsän­gste haben. Das hat eine Studie der Bertelsman­n Stiftung zusammen mit den Universitä­ten in Hildesheim und Frankfurt am Main herausgefu­nden. Die MOPO hat mit Susanne Nagel gesprochen. Die Hamburgeri­n ist Kinder- und Jugendcoac­h und sieht besonders Jugendlich­e in der Pubertät gefährdet. MOPO: Viele Eltern sind von dem derzeit steigenden Medienkons­um ihrer Kinder besorgt. Wie lange dürfen Ihre Kinder am Handy daddeln? Susanne Nagel: Meine Kinder sind 15 und fast 13 Jahre alt. Wir sind diesbezügl­ich bislang relativ streng gewesen und haben das immer reduziert. Man muss als Eltern immer dranbleibe­n und die Online-Zeiten beschränke­n. Wenn einen das nicht interessie­rt, ist die Gefahr groß, dass die Kinder abrutschen und nur noch in ihrer Online-Welt unterwegs sind. Es gibt Empfehlung­en für die zeitliche Nutzung bezogen auf die Altersklas­sen. Es ist wichtig, Grenzen aufzustell­en.

Auch während Corona?

Das ist ein heikles Thema. Ich würde sagen, in CoronaZeit­en kann man das ein wenig lockerer angehen, weil die Kinder kaum Abwechslun­g

haben. Das ist bei uns nicht anders. Aber man muss darauf hinweisen, dass es eine Ausnahmesi­tuation ist und nach Corona wieder strikter wird. Vormittags, während der offizielle­n Homeschool­ing-Zeit, dürfen meine Kinder allerdings nicht ans Handy.

Kennen Sie selbst den Pandemieko­ller?

Auf jeden Fall. Ganz viele Eltern machen Homeoffice, und die Kinder sind nicht in den Schulen oder Kitas. Man hört von nichts anderem mehr als Corona, und das Leben wird sehr dadurch bestimmt.

Was sind Ihre Tipps dagegen?

Ganz wichtig ist, dass man zur Familie zurückfind­et und die Krise als Chance sieht, Dinge zu unternehme­n. Das können gemeinsame Spielabend­e, Quizabende oder Spaziergän­ge sein. Letzteres machen Jugendlich­e nicht so gerne. Mein Tipp ist, sie die Kopfhörer mitnehmen und währenddes­sen Musik hören zu lassen. Dann kommen sie an die frische Luft und haben Bewegung. Ich empfehle auch eine Küchenschl­acht. Das fördert die Kreativitä­t und macht sie stolz, wenn sie etwas Essbares produziert haben.

Und wenn man einfach genug hat vom Aufeinande­rhocken?

Jedes Familienmi­tglied muss sich Zeit für sich nehmen. Das gilt insbesonde­re für Mütter. Man kann sich auch mal eine Matte mit rausnehmen und auf der Wiese ein paar Übungen machen. Allerdings ist es schwierig für diejenigen, die kleine Kinder haben. In Hamburg drohen wieder Schulschli­eßungen. Nach so viel Homeschool­ing, wie kann ich als Elternteil meine Kinder dazu motivieren?

Das Wichtigste ist auch hier, immer in den Dialog mit den Kindern zu gehen und ihnen zu zeigen, dass Bildung wichtig ist. Man kann zusammen Vokabeln abfragen oder Schulstoff lesen. Bei uns freuen sich meine Kinder immer, wenn sie zwischendu­rch einen kleinen Happen wie Obst auf den Schreibtis­ch bekommen. Das geht natürlich nicht überall, manche Kinder sind auch alleine zu Hause.

Gibt es Anzeichen, an denen ich erkennen kann, dass mein Kind psychisch belastet ist?

Das kommt natürlich auf das Alter des Kindes an. Anzeichen können sein, wenn sich Kinder zurückzieh­en, lustlos und unmotivier­t sind oder unter Schlafstör­ungen leiden. Auch Essschwier­igkeiten können ein Symptom sein. Bei älteren Kindern sollte man darauf achten, geäußerte Suizid-Gedanken immer ernst zu nehmen. Wenn das Kind auf einmal gar keine Lust hat, sich online oder draußen zu verabreden, ist das ein Zeichen, dass man was unternehme­n sollte.

Was denn?

Eltern können sich hier für eine Erstberatu­ng an Elternbera­tungsstell­en wenden. Auch an den Kinderarzt natürlich oder natürlich auch Therapeute­n oder Coaches, die sich auf Kinder und Jugendlich­e spezialisi­ert haben. Diese können dann gegebenenf­alls eine Empfehlung ausspreche­n, einen Psychologe­n aufzusuche­n. Es ist immer schwierig abzugrenze­n, ob es sich um eine psychische Störung handelt oder noch eine normale Reaktion ist. Gerade bei Pubertiere­nden.

Die Pubertät ist die Zeit, in der man sich ausprobier­en will, stattdesse­n wird man ausgebrems­t. Was bedeutet das für die Betroffene­n?

Die Jugendlich­en leiden gerade besonders, weil sie ihre direkten sozialen Kontakte komplett einschränk­en müssen. Die Jugend ist relativ kurz und eine Phase der Selbstfind­ung. Wenn die Jugendlich­en in ihren Bewegungsr­äumen eingeschrä­nkt sind, die sie eigentlich brauchen, um ihre Identität zu finden, ist das sehr schlimm. Es wird Zeit, dass wir darauf mehr aufmerksam machen.

Was wäre Ihr Appell an die Eltern und Familien?

Dass sich Eltern und Familien bei Themen wie einem schwachen Selbstbewu­sstsein, Mobbing-Erfahrunge­n, diversen Ängsten oder der Trennung der Eltern möglichst früh Unterstütz­ung holen von außen. So kann vielleicht verhindert werden, dass diese Probleme bei den Jugendlich­en monateoder jahrelang psychologi­sch behandelt werden müssen.

Was ist mit den Jugendlich­en, die ein schlechtes Verhältnis zu den Eltern haben?

Für Jugendlich­e ist der Austausch mit anderen Menschen sehr wichtig. Wünschensw­ert ist es, gerade, wenn das Elternhaus hier nicht den nötigen Halt gibt, eine verlässlic­he Bezugspers­on zu haben. Das kann ein echter Freund sein, aber auch Mutter oder Vater eines Freundes. Selbstvers­tändlich gibt es auch Beratungss­tellen für Jugendlich­e, die zum Teil rund um die Uhr zu erreichen sind.

Wichtig ist, dass man zur Familie zurückfind­et und die Krise als Chance sieht, Dinge zu unternehme­n. Susanne Nagel

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 ??  ?? Susanne Nagel ist Kinder- und Jugendcoac­h und macht sich Sorgen um deren psychische Gesundheit.
Susanne Nagel ist Kinder- und Jugendcoac­h und macht sich Sorgen um deren psychische Gesundheit.
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