HAUPTBAHNHOF
Besoffener geht Polizei ins Netz POSSE Behörde verweigert Hartz-IV-Empfänger rechtmäßige Zahlungen
Wegen seines auffälligen Verhaltens wurde am Donnerstagmorgen ein 47-jähriger Mann in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs von Polizisten überprüft. Zunächst war ein Alkoholtest fällig – dieser ergab sagenhafte 3,09 Promille. Doch das war nicht alles: Wie sich herausstellte, liefen gegen den Mann mehrere Fahndungen wegen Diebstahls, Bedrohung und Sachbeschädigung. Nachdem er seinen Rausch in der Zelle unter Beobachtung ausgeschlafen hatte, kam er in U-Haft.
Keine Kohle, Laden dicht: Ein Jahr lang versucht Pedi Tessmann, seinen Antrag auf Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV, beim Jobcenter durchzubekommen. Doch trotz Anspruch erhält er ständig Ablehnungen. Von einem Angestellten wurde er sogar als „dumm“bezeichnet.
Pedi Tessmann arbeitet im Tattoo-Studio „Tschiggys Bubblegum Art Tattoo“in Hamburg. Nachdem der Laden coronabedingt im März 2020 schließen musste, beantragte er beim Jobcenter Hartz IV, um über die Runden zu kommen.
Obwohl der 35-Jährige Anspruch auf das Geld hat, erteilte ihm das Jobcenter zwei Monate nach Einreichen des Antrages eine Absage. Als Begründung hieß es, so Tessmann, der Tätowierer habe bei der Prognose bezüglich seiner Einkünfte im kommenden Sommer einen Betrag eingegeben, der für den Anspruch auf Hartz IV nicht ausreiche.
Tessmann reagierte fassungslos: „Wie soll ich eine Prognose für Einkünfte im Sommer während einer Pandemie angeben?“, sagt er der MOPO. Laut eigenen Angaben habe er eine Null eintragen wollen, das wurde jedoch als Fehler im System gemeldet.
Tatsächlich muss jeder Kunde eine Prognose abgeben, um Kosten vom Jobcenter erstattet zu bekommen. „Um vorläufige Bewilligungen zu ermöglichen, bedarf es einer Erklärung des Kunden, mit welchen Einnahmen und Ausgaben er zu rechnen hat“, erklärt Kirsten Maaß, Sprecherin des Jobcenters Hamburg.
Doch bei der Nachfrage nach seiner Ablehnung traute der 35-Jährige seinen Ohren nicht. „Ein Angestellter des Jobcenters sagte, ich sei dumm, weil ich eine Prognose abgegeben habe. Er meinte, ich hätte eine Null eintragen und den Staat bescheißen sollen!“
Auf seine Erklärung, dass er sehr wohl eine Null eingetragen habe, diese aber nicht angenommen wurde, folgte laut Tessmann nur die Antwort, dass man dort sehr wohl eine solche Ziffer eintragen könne. „Diese Widersprüchlichkeit der Aussagen macht einen fertig“, meint Tessmann.
Der Tätowierer legte Widerspruch ein – die konträren Aussagen der Angestellten des Jobcenters setzten sich fort. Obwohl ihm telefonisch eine Zusage erteilt worden sei, habe er postalisch erneut einen Ablehnungsbescheid erhalten.
„Ständig sagte man mir, dass ich jeden Moment mein Geld erhalten werde. In der Post lag dann wieder eine Absage“, sagt er. In der Zeit lebte Tessmann von Erspartem und seiner Altersvorsorge.
Im Februar dieses Jahres passierte dann das Unglaubliche: Bei einem zufälligen
Arztbesuch erfuhr Tessmann, dass er seit einem halben Jahr nicht mehr krankenversichert gewesen sei. „Niemand hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich nicht mehr krankenversichert bin“, sagt er.
Er beschuldigte das Jobcenter, ihn unwissend von seiner
Krankenversicherung befreit zu haben. Auf Nachfrage fand er heraus: Da nicht klar war, wer während des laufenden Antrags die Versicherungsbeiträge übernimmt, hatte seine Krankenkasse die Versicherung eingestellt.
Im März, ein Jahr nachdem er den ersten Antrag gestellt hatte, erreichte ihn die erste gute Nachricht. Er bekam einen Betrag vom Jobcenter zurückerstattet. Die Erklärung für die lange Wartezeit liefert die Sprecherin des Jobcenters Hamburg: „Erst Ende Oktober konnten wir mit den tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben Herrn Tessmanns Antrag abschließend prüfen. Nach Erhalt der dafür notwendigen Unterlagen haben wir den Leistungsanspruch erneut berechnet. Dabei ergab sich bei dieser Berechnung ein Fehler unsererseits, für den wir uns entschuldigen.“Auch die Beiträge für die Pflichtversicherung der Krankenkasse übernahm das Jobcenter rückwirkend.
Pedi Tessmann gehört zu den derzeit rund 5500 Selbstständigen in Hamburg, die vom Jobcenter Unterstützung brauchen. Dort verzeichnet man einen deutlichen Anstieg an Neuanträgen von Selbstständigen seit April 2020.
Diese Widersprüchlichkeit der Aussagen macht einen fertig. Pedi Tessmann