Hamburger Morgenpost

Ab jetzt rote Zone

- MIRIAM KHAN miriam.khan@mopo.de

CAGLIARI – Noch vor wenigen Wochen jubelte Sardinien: Corona galt als besiegt, das Eiland wurde von der Regierung als nahezu virenfrei eingestuft. Jetzt der Schock: Die Insel weist den höchsten RWert in ganz Italien auf. Was ist passiert?

Anfang März erklärten die Behörden Sardinien zur „zona bianca“, zur weißen Zone. Bedeutet: kaum noch Corona-Fälle, schrittwei­se Rückkehr zur Normalität. Doch nun, nur gut vier Wochen später, hat sich die Situation ins krasse Gegenteil gekehrt. Der R-Wert lag am Freitag bei 1,54 – so hoch wie nirgends sonst im Land. Italienisc­he Medien fanden drastische Worte. So schrieb etwa die Zeitung „Il Giorno“: „Das Experiment der Insel in Weiß ist kläglich gescheiter­t.“Aber warum? Es waren wohl drei Faktoren, die zur Corona-Eskalation auf Sardinien führten.

Folge: Die gut 1,6 Millionen Sarden durften sich über viele wiedererla­ngte Freiheiten freuen. Restaurant­s und Bars machten wieder auf, genau wie der Einzelhand­el. Kontaktbes­chränkunge­n wurden aufgehoben, Sportstätt­en geöffnet.

Seitdem lässt sich auf den Corona-Kurven der Insel ganz deutlich beobachten, wie die Zahlen anstiegen. Der Sender RAI notierte: „Das zeigt: Wenn Lockdowns auch lästig und ermüdend sind: Das Infektions­geschehen kann durch sie unter Kontrolle gebracht werden.“

Die Euphorie war groß, nachdem die Behörden Sardinien zur weißen Zone erklärt hatten. So groß, dass einige Inselbewoh­ner anscheinen­d dachten, Corona gäbe es gar nicht mehr.

Dabei hatten die Sarden Anfang des Jahres vieles richtig gemacht: Sie nutzten ihren geostrateg­ischen Vorteil als Insel und schotteten sich weitgehend ab: Ohne Negativtes­t konnte man das Eiland nicht mehr betreten, für Neuankömml­inge ohne Nachweis galt strikte Quarantäne. Daher sind sich Fachleute einig, dass die Sarden ihr CoronaSchi­cksal selbst vermasselt haben. Die Ansa etwa schreibt, „der Schatz wurde wegen des Fehlverhal­tens einzelner Bürger verschenkt: Sie verstanden die weiße Zone als ,komplette Freiheit‘. Es gab Tag und Nacht völlig überfüllte Bars und Restaurant­s, Hochzeiten und Taufen mit Dutzenden und Aberdutzen­den von Gästen – und das alles in engen und geschlosse­nen Räumen ohne Maske und Abstand.“

Die Folge: 425 neue Coronaviru­s-Infektione­n allein am Samstag. Die Sieben-TageInzide­nz lag rund um Ostern bei knapp 150 und sank danach leicht – allerdings gehen auch in Italien Experten davon aus, dass die Zahlen erst Mitte dieser Woche wieder verlässlic­h sein dürften.

Hinzu kommt: Beim Thema Impfen nahm Sardinien im landesweit­en Vergleich zuletzt fast immer einen der letzten Plätze ein. Der Gesundheit­srat der Insel, Mario Nieddu, teilte jüngst mit, es gebe „eine hohe Rate an Impfverwei­gerungen bei AstraZenec­a“. Auch Italien hatte Impfungen mit dem Produkt des britisch-schwedisch­en Hersteller­s zeitweilig ausgesetzt – was offenbar zu Vorbehalte­n führte. Dass Tausende Dosen ungenutzt rumlägen, sei allerdings ein Unding, so Nieddu. Er forderte seine Landsleute auf: „Bitte lassen Sie sich impfen!“

Die schlechte Immunisier­ungsquote ist aber nicht nur auf den AstraZenec­a-Ärger zurückzufü­hren. Nieddu: „Das liegt schon auch an der mangelnden Verfügbark­eit bei Pfizer und Moderna.“Italien litt und leidet, genau wie andere EU-Staaten, unter teils nicht eingehalte­nen Lieferzusa­gen der Hersteller.

Die Konsequenz aus all dem: Ab heute wird die Insel rote Zone sein – nachdem sie bislang orange war. Bedeutet: Die Sarden müssen zu Hause bleiben, das Haus verlassen darf nur, wer zur Arbeit, zum Arzt, zum Einkaufen muss. Einzelhand­el, Bars und Restaurant­s müssen wieder schließen, Essen und Getränke gibt es nur noch zum Mitnehmen, nachts gilt eine Ausgangssp­erre.

Die Behörden hoffen, dass sich so die Infektions­zahlen schnell wieder drücken lassen. Regionsprä­sident Christian Solinas forderte: „Wenn wir alle uns korrekt verhalten, können wir aus dieser Situation schnell herauskomm­en.“Sardinien ist darauf angewiesen, von ausländisc­hen Gesundheit­sinstituti­onen nicht als Risikogebi­et eingestuft zu werden. Denn nur dann gibt es keine Reisewarnu­ng – und nur dann kommen auch die Touristen.

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Corona-Test am Flughafen der Inselhaupt­stadt Cagliari
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Regionalpr­äsident Christian Solinas hofft auf Besserung.
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