Ab jetzt rote Zone
CAGLIARI – Noch vor wenigen Wochen jubelte Sardinien: Corona galt als besiegt, das Eiland wurde von der Regierung als nahezu virenfrei eingestuft. Jetzt der Schock: Die Insel weist den höchsten RWert in ganz Italien auf. Was ist passiert?
Anfang März erklärten die Behörden Sardinien zur „zona bianca“, zur weißen Zone. Bedeutet: kaum noch Corona-Fälle, schrittweise Rückkehr zur Normalität. Doch nun, nur gut vier Wochen später, hat sich die Situation ins krasse Gegenteil gekehrt. Der R-Wert lag am Freitag bei 1,54 – so hoch wie nirgends sonst im Land. Italienische Medien fanden drastische Worte. So schrieb etwa die Zeitung „Il Giorno“: „Das Experiment der Insel in Weiß ist kläglich gescheitert.“Aber warum? Es waren wohl drei Faktoren, die zur Corona-Eskalation auf Sardinien führten.
Folge: Die gut 1,6 Millionen Sarden durften sich über viele wiedererlangte Freiheiten freuen. Restaurants und Bars machten wieder auf, genau wie der Einzelhandel. Kontaktbeschränkungen wurden aufgehoben, Sportstätten geöffnet.
Seitdem lässt sich auf den Corona-Kurven der Insel ganz deutlich beobachten, wie die Zahlen anstiegen. Der Sender RAI notierte: „Das zeigt: Wenn Lockdowns auch lästig und ermüdend sind: Das Infektionsgeschehen kann durch sie unter Kontrolle gebracht werden.“
Die Euphorie war groß, nachdem die Behörden Sardinien zur weißen Zone erklärt hatten. So groß, dass einige Inselbewohner anscheinend dachten, Corona gäbe es gar nicht mehr.
Dabei hatten die Sarden Anfang des Jahres vieles richtig gemacht: Sie nutzten ihren geostrategischen Vorteil als Insel und schotteten sich weitgehend ab: Ohne Negativtest konnte man das Eiland nicht mehr betreten, für Neuankömmlinge ohne Nachweis galt strikte Quarantäne. Daher sind sich Fachleute einig, dass die Sarden ihr CoronaSchicksal selbst vermasselt haben. Die Ansa etwa schreibt, „der Schatz wurde wegen des Fehlverhaltens einzelner Bürger verschenkt: Sie verstanden die weiße Zone als ,komplette Freiheit‘. Es gab Tag und Nacht völlig überfüllte Bars und Restaurants, Hochzeiten und Taufen mit Dutzenden und Aberdutzenden von Gästen – und das alles in engen und geschlossenen Räumen ohne Maske und Abstand.“
Die Folge: 425 neue Coronavirus-Infektionen allein am Samstag. Die Sieben-TageInzidenz lag rund um Ostern bei knapp 150 und sank danach leicht – allerdings gehen auch in Italien Experten davon aus, dass die Zahlen erst Mitte dieser Woche wieder verlässlich sein dürften.
Hinzu kommt: Beim Thema Impfen nahm Sardinien im landesweiten Vergleich zuletzt fast immer einen der letzten Plätze ein. Der Gesundheitsrat der Insel, Mario Nieddu, teilte jüngst mit, es gebe „eine hohe Rate an Impfverweigerungen bei AstraZeneca“. Auch Italien hatte Impfungen mit dem Produkt des britisch-schwedischen Herstellers zeitweilig ausgesetzt – was offenbar zu Vorbehalten führte. Dass Tausende Dosen ungenutzt rumlägen, sei allerdings ein Unding, so Nieddu. Er forderte seine Landsleute auf: „Bitte lassen Sie sich impfen!“
Die schlechte Immunisierungsquote ist aber nicht nur auf den AstraZeneca-Ärger zurückzuführen. Nieddu: „Das liegt schon auch an der mangelnden Verfügbarkeit bei Pfizer und Moderna.“Italien litt und leidet, genau wie andere EU-Staaten, unter teils nicht eingehaltenen Lieferzusagen der Hersteller.
Die Konsequenz aus all dem: Ab heute wird die Insel rote Zone sein – nachdem sie bislang orange war. Bedeutet: Die Sarden müssen zu Hause bleiben, das Haus verlassen darf nur, wer zur Arbeit, zum Arzt, zum Einkaufen muss. Einzelhandel, Bars und Restaurants müssen wieder schließen, Essen und Getränke gibt es nur noch zum Mitnehmen, nachts gilt eine Ausgangssperre.
Die Behörden hoffen, dass sich so die Infektionszahlen schnell wieder drücken lassen. Regionspräsident Christian Solinas forderte: „Wenn wir alle uns korrekt verhalten, können wir aus dieser Situation schnell herauskommen.“Sardinien ist darauf angewiesen, von ausländischen Gesundheitsinstitutionen nicht als Risikogebiet eingestuft zu werden. Denn nur dann gibt es keine Reisewarnung – und nur dann kommen auch die Touristen.