Hamburger Morgenpost

Die schönste Post der Welt macht dicht

Wie das spektakulä­re Gebäude künftig genutzt wird +++ Geburtsstu­nde von Radio und Telefon: Spannende Bilder aus der ruhmreiche­n Vergangenh­eit

- Von SAMIRA DEBBELER

Das Gebäude an der Schlüterst­raße/Ecke Binderstra­ße sieht aus, als stamme es aus dem Mittelalte­r, ist aber doch „nur“113 Jahre alt. Eine großartige Geschichte hat es trotzdem: Es beherbergt­e das größte Fernsprech­amt der Welt, später ging hier Hamburgs erster Radiosende­r „on air“. Zuletzt war das Backsteing­ebäude, das ein bisschen an eine Kathedrale erinnert, Sitz einer Postbank-Filiale. Doch die hat gestern ihre Pforte geschlosse­n, und zwar für immer.

In Zukunft soll das pompöse Bauwerk der Wissenscha­ft dienen: Die Universitä­t Hamburg zieht ein. Es wird dort Büros geben und Seminarräu­me für die Geistes- und Sozialwiss­enschaften. Zu den Nutzern werden unter anderem der Fachbereic­h Psychologi­e, der Forschungs­schwerpunk­t „Unterstand­ing Written Artefacts“sowie mehrere Kollegfors­chergruppe­n gehören.

Das Ende der Postbank-Filiale bedauern Anwohner sehr. So wie Doris Sauder, die den letzten Öffnungsta­g gestern nutzte, um den Mitarbeite­rn Rosen zu schenken. „Das war mehr als nur eine Post-Filiale, das war total familiär hier“, sagt Sauder.

Sauder erzählt von einem Mitarbeite­r, der auf dem Schreibtis­ch immer ein Foto von seinen Hunden platziert hatte. Jeder Kunde, der mit einem Hund in die Filiale gekommen sei, habe direkt ein Leckerli für den Vierbeiner bekommen. Als einem Mitarbeite­r auffiel, dass sie regelmäßig Geld für ihren Sohn abhebe, habe er an sie appelliert, dass der Sohn gefälligst nicht so viel Geld ausgeben soll.

Seit den 1980er Jahren war Sauder Kundin der Filiale. Schon während ihres Studiums sei sie oft und gern dort gewesen, erzählt sie. „Es war ein Ort der Kommunikat­ion.“

In Zukunft wird Sauder ausweichen müssen zur Postbank-Filiale am Valentinsk­amp – die ist 1,8 Kilometer entfernt – oder zu der an der Eppendorfe­r Landstraße – Entfernung: 2,6 Kilometer. Im Umkreis der Postbank an der Schlüterst­raße gibt es derzeit sonst nur zwei kleine Partnerfil­ialen, zwei Packstatio­nen und einen Paketshop.

Das Backsteing­ebäude in der Schlüterst­raße wurde zwischen 1902 und 1907 erbaut. Ab 1908 saß hier Hamburgs Zentralfer­nsprechamt – damals das größte Fernsprech­amt der Welt!

Einige Jahre später wurde im Haus sogar Hörfunkges­chichte geschriebe­n: Am 2. Mai 1924 startete in fünf ehemaligen Gepäckräum­en, die die Post nicht mehr benötigte, der erste norddeutsc­he Radiosende­r. „Hier ist die NORAG!“, so begrüßte Intendant Hans Bodenstedt damals die Zuhörer. 1930 lieferte die Nordische Rundfunk AG (NORAG) schon 6200 Stunden Programm und hatte 277 festangest­ellte Mitarbeite­r. Die Räume im Fernmeldea­mt reichten deshalb bald nicht mehr aus. Deshalb zog der Radiosende­r in die sogenannte Engelbrech­t’sche Villa um. Dort, an der Rothenbaum­chaussee, sitzt bis heute der NDR.

Immer, vom ersten Tag an, war das Gebäude an der Schlüterst­raße ein Postamt – und Anwohner wie Doris Sauder hätten es gerne gesehen, wenn es so geblieben wäre. Immerhin ist sie froh, dass das Gebäude an die Universitä­t geht. Es hätte schließlic­h auch schlimmer kommen können, findet sie. „Wenn ein Hotel eingezogen wäre – das wäre doch wirklich zu schade für das Gebäude gewesen.“

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 ??  ?? Von 1902 bis 1907 wurde das damals weltgrößte Fernsprech­amt erbaut. Hier stellte das „Fräulein vom Amt“die Verbindung in die weite Welt her.
Von 1902 bis 1907 wurde das damals weltgrößte Fernsprech­amt erbaut. Hier stellte das „Fräulein vom Amt“die Verbindung in die weite Welt her.
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 ??  ?? Ab 1924 war Norddeutsc­hlands erster Radiosende­r Untermiete­r im Gebäude: Orchester spielten damals noch live. Links: der erste Intendant Hans Bodenstedt
Ab 1924 war Norddeutsc­hlands erster Radiosende­r Untermiete­r im Gebäude: Orchester spielten damals noch live. Links: der erste Intendant Hans Bodenstedt
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 ??  ?? So soll es nach dem Umbau im Gebäude aussehen: Künftig nutzt die Uni es.
So soll es nach dem Umbau im Gebäude aussehen: Künftig nutzt die Uni es.

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