Notbremse bekommt ein wenig mehr Spiel
Ausgangs-Beschränkungen doch erst ab 22 Uhr, Joggen und Spazieren bis 24 Uhr, Schulen schließen früher
BERLIN – Die Intensivmedizin: schlägt Alarm. Aus guten Gründen. Die Opposition: mahnt zur Verhältnismäßigkeit. Aus guten Gründen. Und der Virus-Zug, bei dem laut Kanzlerin Angela Merkel (CDU) möglichst bald die Notbremse gezogen werden soll? Der rollt und rollt. Immerhin soll morgen über die Novelle des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag entschieden werden. Gestern schon berieten die Regierungsfraktionen. Ergebnis: Einiges soll doch lockerer gestaltet werden als bisher geplant. Gerade bei nächtlichen Ausgangssperren gab es zuletzt Kritik.
„Es ist ja eine Notbremse“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn. „Idealerweise wurde vorher schon gebremst.“Damit forderte er die Länder auf, schon vor dem Beschluss auf striktere Maßnahmen zu setzen. Nach dem Bundestag soll am Donnerstag noch der Bundesrat sein Votum abgeben. Künftig sollen Beschlüsse nach dem Infektionsschutzgesetz immer erst vom Bundestag abgesegnet werden. Der BundLänder-Gipfel ist Geschichte. Die einen sagen, das sei eine Schwächung des Föderalismus. Die anderen, es sei eine Stärkung der Demokratie, da das Parlament einbezogen wird.
Fakt ist: Nach heftiger Kritik haben die Fraktionen den Entwurf in einigen Punkten etwas abgeschwächt. Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen etwa sollen nicht um 21 Uhr, sondern erst um 22 Uhr beginnen und bis 5 Uhr morgens andauern. Joggen und Spaziergänge sollen nun doch bis Mitternacht erlaubt sein. Allerdings: nur alleine. Was zum Beispiel bedeutet, dass Frauen alleine in den Park dürften, nicht aber mit ihrem Partner.
Die größte Kritik an der Ausgangssperre war im Vorfeld vonseiten der FDP gekommen. Ihr Argument: Die sei verfassungsrechtlich bedenklich. Zumal sie nur an eine Inzidenz von 100 gekoppelt sei und andere Kriterien wie die Belegung von Intensivbetten außen vor lasse. Doch auch von der Linken und den Grünen kam Kritik: Der zweitgrößte Infektionstreiber, die Wirtschaft, werde wieder außen vor gelassen.
Die soll nun laut Entwurf verpflichtet werden, zwei Tests pro Woche und Mitarbeiter*in bereitzustellen.
Im Einzelhandel soll auch bei hohen Inzidenzen weiterhin „Click & Collect“möglich sein, also das Abholen bestellter Waren. Kinder unter 14 Jahren sollen weiter auf Bolzplatz & Co. Gruppen-Sport treiben können.
Die einzige Verschärfung gibt es bei den Schulen: Die sollen nun schon ab einer Inzidenz von 165 verpflichtend auf Distanzunterricht wechseln. Im Ursprungs-Entwurf lag dieser Schwellenwert bei 200.
Alle Regeln sollen vorerst bis 30. Juni gelten. Sollte das Gesetz am Mittwoch durch den Bundestag und am Donnerstag durch den Bundesrat gehen, würden die Einschränkungen dann verbindlich gelten und nicht wie bisher von Land zu Land unterschiedlich interpretiert werden können. Die bekannte Grenze: eine Inzidenz von 100 in einer Stadt oder einem Kreis an drei aufeinanderfolgenden Tagen.
Kritik kam erwartungsgemäß von beiden Seiten: „So, wie jetzt das Gesetz geändert wird, werden wir trotz leichter Verbesserungen noch nicht zustimmen können“, sagte FDP-Chef Christian Lindner. SPD-Gesundheits-Experte Karl Lauterbach hingegen war enttäuscht: „Mit den Aufweichungen der Kontaktbeschränkungen würden sie etwa 50 Prozent ihrer Wirkung verlieren im Vergleich zu einer Ausgangsbeschränkung ab 20 Uhr.“Damit werde es auch „vermeidbare“Todesopfer geben.
Es ist ja eine Notbremse. Idealerweise wurde vorher schon gebremst. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)