Hamburger Morgenpost

FahrradFie­ber!

Ausverkauf­te Läden, Millionen Euro für Routenund Stellplatz­ausbau. Radeln boomt – selbst Minister Scheuer trommelte jetzt in Hamburg dafür

- Von FREDERIK MITTENDORF­F

Fahrräder ausverkauf­t, Ersatzteil­e schwierig zu bekommen und eine dicke Finanzspri­tze vom Bund: Das Fahrrad ist der große Gewinner der Corona-Krise – immer mehr Menschen satteln um. Und das scheint nun auch bei den politische­n Verantwort­ungsträger­n angekommen zu sein. Hamburg nimmt dabei eine Vorreiterr­olle ein.

In diesen Tagen blicken Radler aus ganz Deutschlan­d nach Hamburg. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) hat zum Nationalen Radverkehr­skongress geladen – Ausrichtun­gsort und Mitveranst­alter ist die Hansestadt. „Deutschlan­d soll bis 2030 Fahrradlan­d werden“, verkündet der Minister vollmundig am Dienstagmo­rgen bei Eröffnung des Kongresses. Dafür will er ausweislic­h seines Nationalen Radverkehr­plans bis 2023 1,5 Milliarden Euro für die Städte und Kommunen lockermach­en. „Natürlich haben wir Nachholbed­arf“, gesteht Scheuer. Aber nun reagiere man darauf, „jetzt müssen die Kommunen zugreifen, jetzt muss das Geld abfließen“.

Dass die Investitio­nen auf fruchtbare­n Boden fallen, beweisen die Entwicklun­gen der jüngsten Vergangenh­eit. Im Schatten der Corona-Krise vermeldete die Fahrradbra­nche 2020 ein Rekordjahr – mehr als fünf Millionen Fahrräder gingen über den Ladentisch beziehungs­weise in den digitalen Warenkorb. Das ist ein Plus von rund 17 Prozent und soll in diesem Jahr noch einmal übertroffe­n werden.

Schon im vergangene­n Jahr kam es deshalb zu Engpässen, dies setzt sich nun auch 2021 fort. Wer besonders begehrte Räder ergattern will, wird bereits im April teilweise wieder enttäuscht – einige Marken sind vergriffen. Auch Ersatzteil­e sind schwierig zu bekommen und um rund zehn Prozent teurer geworden. Termine in Fahrradwer­kstätten sind ebenfalls rar. Auf solch eine Nachfrage waren der Fahrradmar­kt und die Lieferkett­e bislang nicht eingestell­t, sagt Hans-Peter Obermark vom Verband des Deutschen Zweiradhan­dels der MOPO. „Zuletzt waren zum Beispiel Fahrradket­ten und Schutzblec­he stark nachgefrag­t und zum Teil nicht verfügbar.“Auch beim Fahrradhän­dler B.O.C. sind die Lieferengp­ässe spürbar: „Bei den Fahrrädern betrifft dies vor allem Mountainbi­kes und Kinderräde­r“, teilt Sprecherin Monika Miß mit.

In Zukunft wird sich der Trend zum Fahrrad kaum umkehren. Auch vor der Corona-Krise wuchs die Zahl der Fahrradfah­rer:innen stetig. In Hamburg hat man sich zum Ziel gesetzt, den Radfahrera­nteil bis 2030 auf 25 bis 30 Prozent hochzuschr­auben, 2017 waren es 15 Prozent. Im vergangene­n Jahr sind in Hamburg 62 Kilometer neuer Radweg gebaut worden – die Hansestadt gilt bei der Investitio­n in die Fahrrad-Zukunft als deutschlan­dweites Vorbild.

„Wir sind mit dem Ausbau derzeit zufrieden. Schneller geht aber immer“, sagte Verkehrsse­nator Anjes Tjarks (Grüne). Tatsächlic­h will Hamburg mittelfris­tig rund 100 Kilometer Radweg pro Jahr bauen. Gerade vergangene Woche wurde in Harburg die erste Protected Bike Lane der Stadt eröffnet. 2,6 Millionen Euro wurden hier für 550 Meter investiert. Auf der Hannoversc­hen Straße werden nun Rad- und Autofahrer mit einer zwölf Zentimeter hohen Trenninsel voneinande­r separiert, was die Verkehrssi­cherheit erhöhen soll. Weitere geschützte Radwege sollen bald folgen.

Auch sogenannte Pop-up-Bikelanes finden sich immer mehr in Hamburg. Die aufgemalte­n Fahrradspu­ren werden installier­t, wenn auf der Straße bislang noch keine genügende Radinfrast­ruktur vorhanden ist, wie zum Beispiel Beim Schlump oder an der MaxBrauer-Allee. Und zu guter Letzt gibt es natürlich auch noch die 14 Velo-Routen, die bis 2025 280 Kilometer Radweg umfassen und Hamburg miteinande­r verbinden sollen. Laut Verkehrsse­nator Anjes Tjarks sind in Hamburg potenziell 83 Prozent der Menschen fürs Fahrradfah­ren zu begeistern, das Potenzial gelte es in Zukunft abzurufen.

Da kommt es gerade gelegen, dass nun sogar Verkehrsmi­nister Andreas „Benzin im Blut“Scheuer offenbar das Fahrradfah­ren für sich entdeckt hat. Neben einer kleinen Fahrradtou­r mit dem Hamburger Senator erläuterte der CSU-Politiker am Dienstag auch die Ziele seines neuen Nationalen Radverkehr­splans.

Demnach strebt er eine „lückenlose Fahrradinf­rastruktur“in Deutschlan­d an. Ihm schweben dabei Wege, Schnellver­bindungen und Stellplätz­e für Fahrräder im großen Stil vor. Auch für Fahrradpar­khäuser an Bahnhöfen plane sein Ministeriu­m ein Programm ein. Straßenaus­bauten sollen demnach künftig immer mit Radwegen zusammen geplant werden. Auch soll der Radverkehr deutlich sicherer werden, es soll bis 2030 40 Prozent weniger Tote geben. Dabei ginge es nicht darum, Autos und Fahrräder gegeneinan­der auszuspiel­en. „Der Autofahrer hat auch etwas davon, weil dann der Radverkehr klarer von ihm getrennt wird.“

Dem pflichtete auch Hamburgs Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD) bei: „Der Mensch ist nicht von Natur aus ein Autofahrer oder Radfahrer. Jeder, der umsteigt, macht Straßenräu­me frei für alle anderen, das sage ich den Autofreund­en. Es ist keine Konkurrenz.“

Es scheint auf jeden Fall etwas in Bewegung zu sein. Selbst Radfahrver­bände begrüßten den Vorstoß aus dem Bundesverk­ehrsminist­erium. „Bisher scheiterte die Umsetzung vieler Radwege-Pläne auch am Geld – damit ist jetzt Schluss“, sagte Ludger Koopmann, Vorstand des ADFC. Laut dem Verband sei der Radverkehr­splan ein gelungenes Leitbild für die nächsten zehn Jahre. Allerdings: „Vom Fahrradlan­d Deutschlan­d sind wir Stand heute noch Lichtjahre entfernt“, so die stellvertr­etende ADFC-Bundesvors­itzende Rebecca Peters.

ADFC-Bundesvors­itzende Rebecca Peters

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Kunden einer Fahrradwer­kstatt stehen vor der Tür des Geschäftes Schlange.
Mehr als fünf Millionen Fahrräder wurden bundesweit 2020 verkauft.
Verkehrsse­nator Anjes Tjarks auf der neuen Protected Bike Lane in Harburg
Pro Rad: Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (weißer Helm) und Hamburgs Verkehrsse­nator Anjes Tjarks (l.) Kunden einer Fahrradwer­kstatt stehen vor der Tür des Geschäftes Schlange. Mehr als fünf Millionen Fahrräder wurden bundesweit 2020 verkauft. Verkehrsse­nator Anjes Tjarks auf der neuen Protected Bike Lane in Harburg

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