Hamburger Morgenpost

Menschen hausen hier in Bretterbud­en und geflickten Zelten aus dem Sperrmüll

BOBERGER NIEDERUNG

- RÜDIGER GÄRTNER ruediger.gaertner@mopo.de

Das Boberger Naturschut­zgebiet ist eines der artenreich­sten in Hamburg. Das rund 350 Hektar große Areal liegt zwischen den Stadtteile­n Lohbrügge und Billwerder. Die Wege rund um den See sind beliebt bei Spaziergän­gern und Joggern. Doch die Idylle hat auch ihre Schattense­iten. Immer mehr verarmte Menschen bauen abseits der Wanderwege Zelte und einfache Bretterbud­en auf und hausen hier unter widrigsten Bedingunge­n.

Die Boberger Niederung wurden 1991 unter Naturschut­z gestellt. Hier kann man viele Tierarten beobachten. Das Gebiet gehört auch zu den botanisch wertvollst­en in Hamburg. 100 Pflanzenar­ten wachsen dort, die auf der roten Liste stehen und vom Aussterben bedroht sind.

Das Naturparad­ies dient aber auch als Rückzugsge­biet für viele obdachlose Menschen, die sich abseits der Wanderwege niedergela­ssen haben. Sie hausen in kleinen Zelten oder in selbst gebauten Bretterbud­en. Andere haben sich eine Obhut aus Ästen und Zweigen gebaut.

Auf Gaskochern oder einfachen Grills bereiten sie ihre Nahrung zu. Die Behausunge­n bieten kaum Schutz vor Kälte und Regen. Zumeist sind es Menschen aus Osteuropa, die sich hier niedergela­ssen haben.

Aber auch Deutsche. Einer von ihnen ist Michael (57). „Anfang 2020 erst arbeitslos geworden, dann Scheidung und dann den Halt verloren“, schildert der Mann, der unerkannt bleiben möchte, der MOPO in wenigen Worten sein Schicksal.

Bis Mitte vergangene­n Jahres habe er versucht, in Hamburg eine Wohnung zu bekommen. Ohne Erfolg. Jetzt ist ein notdürftig geflicktes Zelt vom Sperrmüll sein Zuhause in dem Naturschut­zgebiet.

Insgesamt etwa 25 Menschen sollen so derzeit in der Wildnis leben, sagt Michael. Eine Anfrage an das Bezirksamt Mitte zu diesem Thema blieb unbeantwor­tet.

Einem Pärchen wurde diese Wildcamper­ei Ende 2016 fast zum Verhängnis. Der Gaskocher hatte das Zelt der beiden in Brand gesetzt. Sie kamen mit Verbrennun­gen in eine Klinik.

„Überall findet man Menschen, die auf der Straße oder in Zelten draußen schlafen. Die Situation wurde durch das Coronaviru­s noch verstärkt. Draußen allein oder mit Abstand zu nächtigen erscheint vielen sicherer zu sein“, sagt Stephan Karrenbaue­r vom Straßenmag­azin „Hinz & Kunzt“.

Einige ziehen es laut Karrenbaue­r vor, in einem Zelt zu hausen, anstatt in Unterkünft­e zu gehen, wo mehrere Hundert Menschen zusammenko­mmen. Zusammen mit der Diakonie und der Caritas hat „Hinz & Kunzt“dafür gesorgt, dass viele Wohnungslo­se in Hotels untergekom­men sind.

Michael jedenfalls wird seinen Platz im Boberger Naturschut­zgebiet vorerst nicht aufgeben. „In der Stadt wird man als Obdachlose­r mit Sack und Pack von einer Ecke in die andere getrieben. Insofern ist es mir lieber, in einem Zelt abseits der Straßen zu hausen, und das, was mir blieb, nicht in Plastiktüt­en mit mir rumtragen zu müssen. Hier muss ich auch nicht fürchten, in der Nacht überfallen und ausgeplünd­ert zu werden.“

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