Hamburger Morgenpost

„Corona? Kennen wir nur aus dem Fernsehen!“

Wie ein Dorf zur Oase wurde:

- MIRIAM KHAN miriam.khan@mopo.de

CAMPOFELIC­E DI FITALIA – Nimmt man es wortwörtli­ch, müssten die rund 500 Einwohner von Campofelic­e di Fitalia recht gut gelaunt sein. Denn „campo felice“heißt auf Deutsch „glückliche­s Feld“. Tatsächlic­h dürften die Bürger des kleinen Örtchens auf der italienisc­hen Insel Sizilien vor allem beim Blick auf die Zahl der lokalen CoronaInfe­ktionen gute Laune bekommen. Denn diese liegt bei null – und zwar seit Beginn der Pandemie!

Der Bürgermeis­ter spricht selbst von einem „Geheimnis“: Warum sich keiner in seinem Dorf mit Corona angesteckt hat, ist auch Pietro Aldegheri ein Rätsel. Doch die Zahlen lügen nicht – zumindest die offizielle­n: Weder in der ersten Welle im vergangene­n Frühjahr noch während der zweiten Welle im Herbst und aktuell in der dritten Welle hat sich jemand aus Campofelic­e di Fitalia infiziert. Das bestätigt Aldegheri gegenüber mehreren italienisc­hen Medien, darunter das Regionalpo­rtal „Palermo Today“und die Zeitung „La Repubblica“.

Aber kann das wirklich sein? Im Gespräch mit „La Repubblica“gibt Aldegheri zu: „Wir hatten im Oktober mal einen Fall. Es war ein 45-Jähriger, der nach einem Krankenhau­sbesuch positiv, nach einer Woche jedoch negativ getestet wurde. Vielleicht also falsch positiv.“Der Bürgermeis­ter versteht sein Dorf in jedem Fall als komplett corona-frei. „Bisher hatten wir großes Glück“, sagt Aldegheri zu „Palermo Today“. „Wir haben Covid nur von Weitem gesehen, im Fernsehen und in Zeitungen.“

Aber wie hat Campofelic­e das geschafft? Ein Grund könnte die recht isolierte Lage des Dorfs sein. „La Repubblica“schreibt: „Der Ort besteht aus einer Handvoll Häuser, die in den Hügeln nahe Palermo verloren gegangen sind. So verloren, dass nicht einmal Covid es finden konnte.“Die meisten Bürger leben von der Landwirtsc­haft, kaum einer arbeitet außerhalb. „Wir haben wenig Kontakt zur Außenwelt“, sagte Aldegheri zu „Palermo Today“.

Zudem sind die Infrastruk­tur und somit auch die Gefahr größerer Menschenan­sammlungen in Campofelic­e überschaub­ar: Der Ort hat einen kleinen Kindergart­en und eine Grundschul­e mit zwei Klassen – beide zusammen betreuen um die 30 Kinder. Es gibt eine Bäckerei, eine Metzgerei, eine Bar und eine Pizzeria, die aber meist aber nur am Wochenende aufhat, berichtet „La Repubblica“. Kürzlich wurde ein Geldautoma­t aufgestell­t – es ist die Top-Nachricht, wenn man online nach News aus Campofelic­e sucht.

Ein weiterer Grund könnte aber auch die Einstellun­g der Menschen sein: „Wir sind hier sehr vorsichtig, wir respektier­en die Regeln, wir meiden Zusammenkü­nfte“, erklärt Aldegheri gegenüber „Palermo Today“. Selbst Weihnachte­n habe es keine größeren Treffen gegeben. Und überhaupt bleibt der Campofelic­ese an sich gern zu Hause: „Ausgangssp­erre um 22 Uhr? Hier im Ort kannst du schon um 19 Uhr im Schlafanzu­g rausgehen, wenn du willst. Da ist keiner mehr unterwegs“, so der Bürgermeis­ter.

Seine Mitbürger seien einfach sehr folgsam gewesen – vermutlich aus Angst, schließlic­h seien die meisten älter als 65 Jahre. Aber auch die Jugend habe mitgezogen: „Früher fuhren sie in nahegelege­ne Städte, um dort die Abende oder ein paar Stunden Freizeit zu verbringen, aber jetzt nicht, die Sicherheit aller steht auf dem Spiel.“Angst sei eben eine gute Prävention­sstrategie, so Aldegheri.

Apropos Angst: Die wächst beim Bürgermeis­ter nun zunehmend. Denn die

meisten Regionen rund um Campofelic­e verzeichne­n derzeit stark steigende Infektions­zahlen. Die Inselhaupt­stadt Palermo etwa, die nur rund 50 Kilometer entfernt liegt, hat sich zum Hotspot entwickelt. 349 Neuinfekti­onen in 24 Stunden meldete die Region am Dienstag. Seit Wochen ist ganz Sizilien im italienisc­hen Corona-Ampelsyste­m als „orange“oder „rot“eingestuft. Heißt: Ausgangssp­erre, Einzelhand­el und Restaurant­s dicht, Kontaktbes­chränkunge­n, kaum Präsenzunt­erricht in Schulen.

Das Problem: Weil Campofelic­e verwaltung­stechnisch zu Palermo gehört, wurde auch das coronafrei­e Dorf „rot“eingestuft. Und der Lockdown gibt der lokalen Wirtschaft nun den „Todesstoß“, wie Aldegheri erzählte: „Drei unserer fünf Milchbetri­ebe haben zugemacht, ebenso die Bar und die Metzgerei. Schon vor Corona litten sie unter unserer isolierten Lage, die auch durch die katastroph­alen Provinzstr­aßen bedingt ist. Jetzt können sie gar nichts mehr verkaufen, auch nicht an Einheimisc­he.“

Aber: Etwas Hoffnung gibt es. Denn sein Ruf eilt Campofelic­e mittlerwei­le voraus, auch im Ausland hat man schon vom Corona-Geheimnis gehört. Eine Bewohnerin erzählt „La Repubblica“: „Ich habe eins meiner Häuser zur Auktion ins Internet gestellt und in nicht einmal 24 Stunden hatte ich zahlreiche Anfragen – sogar aus Texas!“Damit etwaige Neuankömml­inge auch weiter ein Covid-freies Dorf vorfinden, setzt der Bürgermeis­ter auf zügige Impfungen. Denn auch wenn das Geheimnis, warum Campofelic­e bislang von der Pandemie verschont blieb, bislang ungeklärt ist – in Zukunft gebe es laut Aldegheri einen eindeutige­n Weg, um coronafrei zu bleiben: Impfen!

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Bürgermeis­ter Pietro Aldegheri
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Viel los ist meistens nicht: In Campofelic­e di Fitalia leben um die 500 Menschen.
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Blick auf Campofelic­e di Fitalia: „So verloren, dass nicht einmal Covid es finden konnte“

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