DER KIEZ-KÖNIG
Axel Strehlitz kam aus der Provinz – und schuf ein kleines Imperium:
Ich liebe den Kiez dafür, dass er so divers ist. Was ich hier mache, dürfte ich an anderen Orten nicht.
Axel Strehlitz
Breitschultrig, muskelbepackt, tätowiert, knallhart – so stellen sich viele eine echte Kiez-Größe vor. Das mag in den 80ern durchaus zutreffend gewesen sein. Ein schmaler Mann mit Handtaschen-Hund, wippendem Gang, ruhiger Stimme und Turnschuhen will nicht so recht in das Bild passen. Doch Axel Strehlitz ist genau das: eine Kiez-Größe. Der Mann aus einer niedersächsischen Kleinstadt, der jahrelang niemandem anvertrauen konnte, dass er schwul ist, gilt heute als einer der großen Macher auf St. Pauli. Der 53-Jährige ist Clubbetreiber, Unternehmer und Gastronom.
Als große Nummer hat sich Axel Strehlitz nie empfunden. Er wirkt zurückhaltend, sein Lächeln fast schüchtern. „Ich mache mein Ding. Da ist eins zum anderen gekommen. Das ist einfach so passiert.“Eigentlich wollte Axel Kaufmann werden. Seine Oma nahm ihn häufig mit zum Einkaufen in den benachbarten Tante-EmmaLaden.
Der Junge liebte es, dort an der Kasse zu sitzen. Damals in Lehrte bei Hannover. Mit seinen Eltern und zwei Brüdern lebte er dort in einer 74-QuadratmeterWohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses. Davor eine große Wiese. Auf dem Hof eine Garage an der anderen.
Heute empfindet Axel es als „kleinbürgerlich und beengt“. Früher war es für ihn ein großes Abenteuer. Einmal über die Landstraße, vor der seine Mutter stets warnte, standen verlassene Kleingärten und ein alter
Luftschutzbunker. „Da haben wir immer Filme nachgespielt“, sagt Axel und streichelt lachend seine Zwergspitz-Dame Holly.
Schon als Kind wusste Axel, dass er irgendwann in Hamburg leben will. Für ihn war die Stadt der Inbegriff von Freiheit. Sein Schlüsselerlebnis: Bei einem Wochenendausflug mit seiner Familie sah er das erste Mal zwei Männer, die vor einem Schaufenster
standen – Händchen haltend. „Ich habe das Bild heute noch vor Augen. Das hat mich berührt.“
Obwohl Axel damals noch gar nicht wusste, dass er schwul ist. Als er etwa zwölf Jahre alt war, merkte der Junge, dass er sich mehr für Jungs interessiert. Aber Axel versuchte sich einzureden, dass das vorbeigeht. Ging es aber nicht. Er konnte sich niemandem anvertrauen – in den 80er Jahren, als Jungs „vom anderen Ufer“verachtet wurden und Aids für Panik sorgte.
„In meiner Not habe ich sogar bei der Hotline von Dr. Sommer angerufen.“Im strömenden Regen stahl sich das Kind zur Telefonzelle. Statt Hilfe bekam der klitschnasse Junge bloß einen gut gemeinten Rat: Er solle sich keine Sorgen machen, das sei nur eine Phase. „Ich dachte nur: Was redet die für eine Scheiße. Das geht nicht vorbei, ich warte ja schon die ganze Zeit, dass es vorbeigeht.“
Das Schwulsein blieb, aber Axel ging. Um zu studieren. Vom Wunsch, einen TanteEmma-Laden zu haben, hatte er längst Abstand genommen. Doch ein weiteres Kindheitserlebnis prägte ihn. Seine Eltern trennten sich, als er 16 Jahre alt war. „Ich habe sehr unter dem Leiden meiner Mutter gelitten. Mit jedem Brief des gegnerischen Anwalts hat sie gefühlt ein Kilo abgenommen.“Axel entschied: Er wird Anwalt, „um die Welt ein bisschen besser zu machen“. Und so studierte er Jura in Göttingen. Zwar größer als sein Heimatort, aber immer noch zu klein.
Also ging es endlich in die Stadt der Händchen haltenden Männer. Und tatsächlich: Heute bezeichnet der Unternehmer Hamburg als seine Befreiung. Endlich konnte er sagen, dass er Männer liebt. Anfangs jobbte Axel während des Studiums im Schmidts Tivoli, danach in der Wunderbar. Mittlerweile gehört ihm der Laden an der Talstraße.
Der Gastronom steht in seiner Bar. Der Tresen rausgerissen, die Wände hinter Malerfolie, der blanke Boden von einer Staubschicht bedeckt. „So habe ich meinen Laden auch noch nie gesehen“, sagt der Mann und wischt den Staub von einer roten Sitzbank. Seine Wunderbar wird in diesem Jahr 30 Jahre alt. Eine eigene kleine Welt. Hinter abgeklebten
Fenstern. Mit plüschigen Sitzmöbeln, roter Glitzertapete, goldenen Bilderrahmen und Discokugeln. Davor hieß das Lokal Gaylord und man musste klingeln, um reinzukommen.
„Das schwule Leben fand im Geheimen statt. Das haben wir aufgebrochen.“Zwar ist die Bar für jedermann geöffnet, doch die Türsteher schauen nach wie vor genau hin. „Es kommen auch gerne heterosexuelle Frauen alleine, weil sie sich sicher fühlen. Das lockt dann aber wieder Männer an, die wissen, dass die Frauen hier sind.“Deshalb werden auch mal Gäste abgewiesen und Stammgäste bevorzugt. „Die Community braucht einen Ort, um sich treffen und sicher fühlen zu können.“Auch für Axel ist die Bar ein Ort zum Abschalten – sein „Wohnzimmer“.
Mit der Wunderbar fing alles an. Axel schmiss sein Studium kurz vor dem Examen und folgte dem Rat einer Stammkundin, doch mal ein Praktikum in ihrer Firma zu machen – bei „Spiegel TV“. Daraus wurden 16 Jahre, am Ende als Redaktionsleiter. Zudem beteiligte Corny Littmann ihn an der Wunderbar. Der Start seiner Kiez-Karriere. „Ich liebe den Stadtteil dafür, dass er so divers ist. Was ich hier machen darf, dürfte ich an anderen Orten nicht. Menschen gewähren zu lassen – das gehört zu St. Pauli. Hier kann man sich beweisen.“Und das tat er: Es folgten der Sommersalon, Hörsaal und das Klubhaus St. Pauli.
Eine Zeit mit vielen Baustellen. Und wenig Luft. Trotzdem übernahm Axel auch noch die Geschäftsleitung für die Panik City von Udo Lindenberg. Warum? Ganz einfach: „Weil man nicht absagt, wenn man von einem Udo Lindenberg gefragt wird.“Mit der Musik konnte Axel zwar nichts anfangen, aber dass Udo immer „sein Maul“aufgemacht hat, bewundere er. Nach einem Jahr stand die MultimediaAusstellung. Und Axel mutierte zum Fan. Heute spricht er nicht von Liedern, sondern „Hymnen“und von Udo Lindenbergs großer Fähigkeit, Menschen zu berühren.
Dann kam die Pandemie. Stillstand. Notstand. Doch der Kiez-Macher machte weiter. Und eröffnete das Corona-Testzentrum auf dem Spielbudenplatz. Besonders wichtig für den Unternehmer: eine Perspektive für sich und seine Mitarbeiter schaffen. Mittlerweile arbeiten seine DJs, Musiker, Künstler, Eventplaner und Betriebsleiter alle im Testzentrum. „Bei der Gurgelprobe kann es also passieren, dass eine Sängerin
hinter der Glasscheibe steht und die Anweisungen gibt. Das ist für mich wie ein Familientreffen.“
Zeit für Privatleben bleibt wenig. Jedoch nimmt sich Axel die Zeit für seinen Freund, mit dem er seit zwei Jahren zusammen ist und in
St. Georg lebt. Und für seine pflegebedürftige Mutter, die er nach Hamburg geholt hat, in eine Wohngemeinschaft mit sechs alten Damen. „Ich passe jetzt auf die Mutti auf. Sie hat mir so viel gegeben und bedeutet mir so viel, dass es für mich selbstverständlich ist“, sagt der Mann.
Er zückt sein Handy und zeigt grinsend ein Foto. Axel Arm in Arm mit Celine Dion. Echt jetzt, die Schnulzentante? Axel winkt ab. „Ach, das ist so ein Schwulending“, sagt der Unternehmer und lächelt sein schüchternes Lächeln.