FREIHEIT FÜR GEIMPFTE
Urlaub, Treffen, Grundrechte – was bald möglich sein soll:
BRÜSSEL/BERLIN – Wenn ich geimpft bin, hören die Einschränkungen dann auf ? Ist es ethisch überhaupt vertretbar, Geimpfte anders zu behandeln als Nicht-Geimpfte? Oder ist es umgekehrt nicht eine Pflicht, den mutmaßlich weniger Ansteckenden endlich wieder ihre Grundrechte zu gewähren? Seit Monaten läuft die Debatte. Dank Impfrekorden nimmt sie aber derzeit noch mal Fahrt auf.
Sommerurlaub am Strand in Portugal? Oder doch auf dem hübschen Zeltplatz in Dänemark? Wer sich im
Moment derlei Gedanken macht, tut das mit der bangen Frage im Hinterkopf: Dürfen wir das überhaupt bis zum Sommer? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Mögliche Szenarien werden nun greifbarer. Das EU-Parlament etwa hat vor den Verhandlungen mit den einzelnen Ländern beschlossen: Ein Impfzertifikat soll Quarantänen künftig verhindern. Ob der Vorschlag durchkommt, ist noch ungewiss. Das Szenario könnte sein: Wer zweimal geimpft ist, kann sich frei in Europa bewegen. Aber: Der Rest schaut womöglich in die Röhre.
Auch hierzulande werden Rufe nach anderen Regeln für Geimpfte lauter. Lange fehlte die Diskus
sionsgrundlage, weil unklar war, ob die überhaupt weniger ansteckend sind. Am Donnerstag betonte RKI-Chef Lothar Wieler in einer Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn noch mal: Hundertprozentige Sicherheit zwar nicht, aber ckungsgefahr sei reduziert“.
Ob man dann Erleichterungen Geimpfte nachdenwurde ken müsse, Spahn gefragt. entsprechender Entwurf werde nächste Woche in Bundestag und Bundesrat zur Debatte gestellt, so der Minister. Aber: „Man darf den
Wir sollten die Frage einzig und allein unter medizinischen Gesichtspunkten betrachten. Olaf Scholz (SPD)
Juni auch nicht überfrachten.“Spahn schien bemüht, die Hoffnungen nicht zu sehr sprießen zu lassen. Obwohl er zuvor einen Rekord verkündet hatte: Am Mittwoch
waren erstmals eine Million Menschen in Deutschland geimpft worden. Auch die WHO meldete: Zum ersten Mal überhaupt in der Pandemie gebe es in Europa mehr Geimpfals Infizierte! Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) preschte am selben vor: „Wir sollten uns in Frage nicht von verGerechtigkeitsleiten lassen, sondie Frage einzig und unter medizinischen betrachsagte er zum „RedakDeutschland (RND)“. Konkret: Ausgangsbeschränkungen für Geimpfte? Seien schlicht nicht begründbar. SPD-Kollege und Rechtsexperte Johannes Fechner betonte: Man müsse nun schnell den Gerichten zuvorkommen und die Einschränkungen für Geimpfte aufheben.
Ähnlich äußerte sich Linken-Geschäftsführer Jan Korte: Unter anderem forderte er, Geimpfte – ähnlich wie Kinder – nicht mitzuzählen, wenn es darum geht, mit wie vielen Personen sich ein Haushalt treffen darf. Außerdem forderte er, die Betriebe beim Impfen in die Pflicht zu nehmen. Die hätten teils große Gewinne erzielt, während Angestellte wie Kassierer „an vorderster Front“kämpfen mussten.
Einige Länder waren ohnehin bereits vorgeprescht in Sachen Rechte für Geimpfte. Unter anderem Hessen und Bayern stellen sie nun negativ Getesteten gleich. Und das, obwohl beim Bund-Länder-Treffen Anfang der Woche noch vereinbart worden war, dass man damit warten wolle.
So gibt es auch weiter Gegenstimmen, etwa von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der die Debatte für verfrüht hält: „Wenn alle ein Impfangebot bekommen haben, dann muss man über die Rechte von Geimpften reden“, sagte er dem „RND“. Aber eben keinen Tag früher.
Ähnlich äußerte sich der Berliner Intensivpfleger Ricardo Lange, der neben Wieler und Spahn auf dem RKIPodium saß und eindrücklich von der Überlastung auf den Stationen berichtete: „Ich verstehe nicht, wieso schon von Privilegien gesprochen wird, wenn nicht jeder ein Impfangebot bekommen hat.“Ob’s wirklich ein Sommer der Geimpften wird? Die Debatten werden noch eine Weile andauern.