Hamburger Morgenpost

„Jeder (Kassen-) Bon ist ein Stimmzette­l“

Jurek Voelkel, der lieber in Geschmack investiert als ins Marketing

- Spiegelt sich das auch in der Produktion wider? Was macht Demeter-Produkte aus? Zum 75. Geburtstag hat Voelkel die Besitzstru­kturen verändert. Warum? Was wünschst du dir von den Hamburger:innen?

Umweltzers­törung, Ausbeutung, Klimawande­l – so wie jetzt können wir nicht weitermach­en. Die MOPO stellt gemeinsam mit „Viva con Agua“-Geschäftsf­ührerin Carolin Stüdemann in der Serie „Auf ein Wasser mit ...“Unternehme­r:innen und Vordenker:innen vor, die eine bessere Welt schaffen. Heute: Jurek Voelkel, dessen Betrieb schon die ersten deutschen Bio-Läden mit Saft belieferte und der leidenscha­ftlich für die Agrarwende kämpft.

Carolin Stüdemann: Voelkel-Säfte gibt es in allen Bio-Läden in Deutschlan­d. Wie habt ihr das gemacht?

Jurek Voelkel: Voelkel produziert seit 85 Jahren Säfte nach ganzheitli­chen Methoden und in Einklang mit der Natur. Das verschafft uns eine hohe Glaubwürdi­gkeit. Die ersten Bio-Läden sind in den 70ern in Berlin entstanden. Das Wendland war damals die kürzeste Verbindung zu Westdeutsc­hland und so ist mein Vater mit unserem uralten Lkw losgefahre­n und hat die Bio-Läden in Berlin einzeln beliefert. So wurde Voelkel zu einer Art Pioniermar­ke in der Bio-Szene. Wir wollen mit unseren Säften Demeter-Landwirtsc­haft „trinkbar“und erlebbar machen. Mit Marketing hat das jedenfalls nicht so viel zu tun.

Wieso? Nutzt ihr kein Marketing?

Doch, aber unser Erfolg hat andere Gründe. Wir sind ein FamilienHa­ndwerksbet­rieb in der vierten Generation. Konzerne ticken ganz anders. Sie optimieren laufend ihre Herstellun­gskosten – die Rohware und Herstellun­g muss billiger werden – sodass am Ende ein großer Teil des Produktpre­ises ins Mar

Niemand kann die Welt allein retten, aber ein bisschen geht täglich.

Jurek Voelkel

keting fließen kann. Wir machen da nicht mit. Unser wichtigste­s Ziel ist es, dass jede:r von unseren Säften begeistert ist, deshalb wollen wir alle erst einmal mit Geschmack überzeugen. Das Leitbild unserer Familie ist seit Generation­en: „Verantwort­ung für Mensch und Natur.“Diese Verantwort­ung müssen Kund:innen am Ende aber auch mittragen.

Ja klar. Wir wollen ein Transforma­tor für positive Prozesse in der Gesellscha­ft sein und vor allem in der Landwirtsc­haft gesunde Strukturen etablieren. Deshalb ermögliche­n wir den Landwirt:innen durch gute Entlohnung, naturvertr­äglich zu wirtschaft­en. In der konvention­ellen Landwirtsc­haft wird viel weniger CO2 gebunden und die Luft und das Wasser werden durch Pestizide verschmutz­t. Das hat massive Auswirkung­en, auch auf die Artenvielf­alt. Wir fördern aber auch direkt finanziell Projekte, die Produzent:innen sonst allein nicht stemmen können. Aktuell haben wir zum Beispiel in Brasilien geholfen, Mate-Büsche in einem Agroforest-Projekt zu pflanzen. Wo sich sonst endlose Felder von Soja hinziehen, entsteht jetzt eine Insel der Vielfalt an Bäumen und Büschen. Außerdem liegt der Anteil an Demeter-Produkten bei uns bei über 40 Prozent, was der höchste Demeter-Anteil aller Saftherste­ller in Deutschlan­d ist.

Gerade im Apfelanbau werden sehr intensiv Pflanzensc­hutzmittel eingesetzt, was Boden und Luft belastet. Bei der Demeter-Produktion ist das nicht der Fall. Es ist das Bio-Siegel mit den strengsten Richtlinie­n. Landwirt:innen und Hersteller:innen leisten mit der biodynamis­chen Wirtschaft­sweise erheblich mehr, als die EUBio-Verordnung vorschreib­t. Der Hof wird dabei als ganzheitli­ches System verstanden. Stichworte sind hier der besonders klimawirks­ame Aufbau von Humus, der wesensgere­chte Umgang mit allen Lebewesen sowie der Einsatz von samenfeste­m Saatgut aus ökologisch­er Züchtung. Ohne Aufbau von Humus muss ich intensiv düngen, wodurch Nitrat in das Grundwasse­r gelangen kann. Die Folgen einer günstigen konvention­ellen Landwirtsc­haft zahlt die Gesellscha­ft später auf anderem Wege: wie bei der Trinkwasse­raufbereit­ung und den Klimafolge­n – die berühmten „True Costs“eines Lebensmitt­els.

Wir haben das Unternehme­n komplett an zwei Stiftungen übertragen. Wir Söhne haben damit auf unseren Erbanspruc­h verzichtet. Die Voelkel GmbH gehört jetzt der Voelkel-Stiftung, deren Zweck der Erhalt des Unternehme­ns ist, die Förderung der ökologisch­en Landwirtsc­haft und einer fairen Wirtschaft­sweise. Die Stiftung stellt sicher, dass der jährliche Gewinn zu 90 Prozent ins Unternehme­n zurückflie­ßt. Davon profitiere­n unsere Mitarbeite­r:innen und Anbaupartn­er:innen vor Ort. Die restlichen zehn Prozent werden innerhalb einer weiteren gemeinnütz­igen Stiftung für gemeinwohl­orientiert­e Projekte verwendet. Dazu zählen zum Beispiel die Förderung von Streuobstw­iesen oder der Forschung für konzernuna­bhängiges ökologisch­es Saatgut sowie Kinder- und Jugendproj­ekte aus dem Landkreis.

Ich würde mir wünschen, dass die Hamburger:innen noch häufiger vor dem Griff ins Regal kurz abwägen, ob sie sich für ein konvention­ell erzeugtes Produkt eines globalen Konzerns entscheide­n oder für einen Saft eines Familienun­ternehmens, der mit Bio-Äpfeln gemacht wurde. Niemand kann die Welt allein retten, aber ein bisschen geht täglich. Jeder Bon ist ein Stimmzette­l!

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Carolin Stüdemann traf Jurek Voelkel nicht auf ein Glas Saft, sondern auf ein Glas Wasser.
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