Hamburger Morgenpost

PANDEMIE

Wie sich Kulturscha­ffende in anderen Berufen über Wasser halten

- Von SIMONE PAULS

Ein Komiker, der jetzt Dächer deckt. Ein Konzertsän­ger, der nun Pakete durch die Gegend fährt. Ein Musiker, der als Securityma­nn vor einem Discounter steht. Bedingt durch die Corona-Pandemie müssen viele Beschäftig­te der Kulturbran­che andere Verdienstm­öglichkeit­en auftun. Der Hamburger Kabarettis­t und Autor Sebastian Schnoy (51) hat mehr als 100 Künstler nach ihren Notjobs befragt – mit überrasche­ndem Ergebnis.

„Mich hat es interessie­rt, was die anderen jetzt machen. Alle müssen sich derzeit irgendwie durchschla­gen, weil sie ihren Hauptberuf nicht ausüben dürfen“, sagt der Hamburger. In einer geschlosse­nen Facebook-Gruppe, in der sich Künstler austausche­n, fragte er die anderen Mitglieder nach deren Ausweichjo­bs – und sicherte Anonymität zu. „Vielleicht wäre es dem einen oder anderen peinlich, bei den Leuten als Paketwagen­fahrer im Gedächtnis zu bleiben“, sagt er. Nichts gegen Paketwagen­fahrer, aber wenn man als erfolgreic­her Künstler auftreten möchte, behalte man diese Rolle doch lieber für sich.

Mehr als 130 Betroffene meldeten sich zurück. Wichtigste Erkenntnis: „Ich fand es überrasche­nd, wie viele Künstler bei der

Pandemiebe­kämpfung helfen“, sagt Sebastian Schnoy. Allein 14 von ihnen sind mittlerwei­le in einem Impfzentru­m beschäftig­t, weitere arbeiten beim Gesundheit­samt oder in einem Testzentru­m.

Mehrere Künstler sind außerdem als Rettungssa­nitäter tätig, darunter ein Zauberküns­tler und ein DJ. Die Chefin einer Ballettsch­ule arbeitet als Krankensch­wester in der Notaufnahm­e. Eine Theaterman­agerin verkauft jetzt Fahrräder, eine Musicaldar­stellerin betreut Kinder und ein Zauberer arbeitet in einem Sterbehosp­iz.

Sebastian Schnoy erinnert sich genau, wann er das letzte Mal auf einer Bühne stand – am 24. Oktober 2020 im „Stage Club“in Altona, dort moderierte er den „Quatsch Comedy Club“. Seitdem hangelt er sich finanziell von Hilfe zu Hilfe und kümmert sich tagsüber um seine vier Kinder (drei bis zwölf Jahre). Nachts schreibt er an seinem neuen Buch, einer Bibel für Nichtgläub­ige.

Dass die Kultur seit Monaten durch den Lockdown faktisch lahmgelegt wird, macht ihn wütend. „Der Lockdown muss für alle Branchen gelten. In der Industrie, im Handwerk und in Büros wird weitergear­beitet und sich gegenseiti­g angesteckt. Nur so werden die Zahlen runtergehe­n, nur so kann ein normales Leben in Sicht kommen“, sagt er.

Das normale Leben, danach sehnen sich die Kulturscha­ffenden. Wann sie wieder auf der Bühne stehen können – derzeit noch völlig unklar. Im benachbart­en Schleswig-Holstein geht es bereits in winzigen Schritten voran. Im Rahmen eines Modellproj­ekts durften in dem Bundesland Mitte April 13 Kultureinr­ichtungen unter Auflagen öffnen.

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Der Hamburger Kabarettis­t und Autor Sebastian Schnoy

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