Eine Schule fürs Leben
DIE RUGES KOMMEN KUNGFU Zwölf Jahre lang betrieb Michel Ruge eine Kampfsportschule für Escrima in Berlin. Hier erzählt er, wie seine Kampfsport-Karriere in Hamburg begann
Ein Hinterhof in BarmbekNord. Eine rote Tür, vor der ein Kirschbaum Blüten treibt. Ich stehe vor dem Tor zu meiner Vergangenheit. Hier habe ich etwas gefunden, was ich als Junge gesucht habe: Wahrhaftigkeit.
Sifu stützt sich auf den Besenstiel, mit dem er gerade noch den grauen Asphalt gefegt hat. Blau blitzende Augen leuchten Anni und mich an, als wir an diesem Morgen die Kung-Fu-Schule besuchen, in der ich mein erstes Turnier gekämpft habe. Sifu, das ist Christian Wulf, der als Großmeister des Wun Hop Kuen Do, eines KungFu-Stils, den Titel „Vater“führen darf. Und tatsächlich strahlt der drahtig-durchtrainierte einstige Weltmeister etwas Väterliches aus und sofort verbinde ich mich wieder mit dem Gefühl, das mich bereits als kleinen Jungen zum Kampfsport und vor allem zum Kung Fu getrieben hat.
In den 1980er Jahren herrschte das Faustrecht auf St. Pauli. Ich war das jüngste Mitglied einer Gang, folgte den wesentlich älteren Jungs, die fast immer auf der Suche nach dem nächsten Kampf, der nächsten Auseinandersetzung waren. Doch mein richtiger Held war der weltberühmte Kampfkünstler und Kinostar Bruce Lee. Schon als Siebenjähriger habe ich den Sonntagen entgegengefiebert, an denen er auf der Leinwand im AladinKino auf der Reeperbahn seine Sprünge, Kicks und Schläge vollführte, die ich anschließend voller Inbrunst nachmachte. So ist es kaum verwunderlich, dass ich nach Judo und Karate als 13-Jähriger schließlich mit Kung Fu begann.
Heute weiß ich, dass das harte und anspruchsvolle Training mich vor einigem bewahrt hat. Statt mich auf der Straße herumzutreiben oder vor der Glotze abzuhängen, verbrachte ich viele Stunden im Trainingsraum – zunächst im Tayo Sportcenter in der Holstenstraße bei einem Schüler des Hawaianers Al Dacascos, der in den 1970er Jahren die gleichnamige Schule in der Seilerstraße auf St. Pauli gründete. Später dann direkt in den Dacascos-Schulen seiner Meisterschüler. Der Name Dacascos steht auch hier in Barmbek an der Wand und Anni ist verwirrt: „Ist dachte, dass Christian Wulf die Schule gegründet hat?“, flüstert sie mir zu, als wir die rote Tür durchschritten haben und die Treppen hinauf in den Trainingsraum steigen. Ich erkläre ihr, dass Al Dacascos der Kung-Fu-Pionier Hamburgs war und er quasi als eine Art Schirmherr auch dieser Schule vorstand.
Heute ist Al Dacascos 79 Jahre alt und besucht zuweilen immer noch seine deutschen Meisterschüler. Sifu Christian Wulf ist einer von sechs Kung-Fu-Meistern der ersten Generation in Hamburg, die den Stab des großen Meisters in Deutschland übernommen haben. „Ich unterrichte seit fast vier Jahrzehnten in diesen Räumen und kann mir bis heute nichts Schöneres vorstellen“, sagt er und schreitet