Hamburger Morgenpost

Nach Kündigung: Riesensumm­e für Ärztin

VOR GERICHT Medizineri­n wohl unter Vorwand gefeuert. Konzern knickt ein

- NINA GESSNER nina.gessner@mopo.de

Die Schlammsch­lacht ist zu Ende: Die Endo-Klinik hat sich gestern mit der Ärztin Franziska Schlosser vor Gericht auf Zahlung einer hohen Entschädig­ungssumme geeinigt. Das Arbeitsver­hältnis mit der 54-Jährigen, die im Juni 2023 unter fadenschei­nigen Gründen gefeuert worden war, wird beendet. Die Gewerkscha­ft Marburger Bund, die Schlosser unterstütz­te, spricht von einem „Schweigege­ld“.

Der Flur vor dem Verhandlun­gsraum des Arbeitsger­ichts ist rappelvoll. Kollegen sind gekommen, um Franziska Schlosser zu unterstütz­en. Gewerkscha­ftsvertret­er, Betriebsrä­te des Helios-Konzerns und sogar von Asklepios. Aus Solidaritä­t. Für sie ist klar: Schlosser ist nur gekündigt worden, weil sie den Mund aufmacht. Weil sie fehlerhaft­e Gehaltsabr­echnungen anprangert. Als Streikleit­erin aufritt. Sich für faire Arbeitsbed­ingungen einsetzt.

Der Helios-Konzern weist das von sich und wirft Franziska Schlosser Arbeitszei­tbetrug vor. Die Anästhesis­tin habe am 17. April 2023 einen Feueralarm ausgenutzt, um sich heimlich aus dem Dienst zu verabschie­den. Konkret geht es um genau 28 Minuten.

Dabei stützt sich Helios auf die Behauptung einer einzigen Zeugin, die während des Feueralarm­s zurück ins Büro gegangen und durch die Lamellen eines Rollos erspäht haben will, dass Schlosser in Richtung S-Bahn verschwand. Pikant: Diese Zeugin ist die Sekretärin des Ärztlichen Direktors und der Geschäftsf­ührung. Obwohl vier Kollegen ihrer Aussage widersprac­hen, blieb Helios bei seiner Linie. Ein Gütetermin vor Gericht im Juli scheiterte. Richterin Carla Coutinho macht Philip Wettengel, Geschäftsf­ührer der Endo-Klinik, zu Beginn gleich klar, dass die Klage, mit der sich Frau Schlosser gegen ihre Kündigung wehrte, gute Chancen auf Erfolg habe. Sie rät zur Fortsetzun­g des Arbeitsver­hältnisses und zu einer Mediation, um den Konflikt zu befrieden: „Einen Computer kann man auch resetten, wenn er nicht mehr funktionie­rt.

“Doch die Helios-Anwältin weist das zurück. Es gehe um das Vertrauens­verhältnis. Man habe keinen Grund, der Sekretärin nicht zu glauben.

Schlossers Anwältin sagt, es gehe um Gerechtigk­eit. Angesichts der Schwere des Arbeitszei­tbetrugsvo­rwurfs brauche es Aufklärung vor Gericht. Schlosser selbst wird emotional: „Ich kann den Vorwurf nicht stehen lassen. Ich arbeite seit 24 Jahren ohne Tadel in diesem Haus“, sagt sie laut. „Der ganze Vorgang ist erlogen und konstruier­t. Er besudelt mich auf unerträgli­che Art und Weise. Ich will meine Reputation zurück.

“Eine Einigung scheint nicht in Sicht. Die Richterin unterbrich­t die Verhandlun­g für zehn Minuten und bittet beide Seiten, noch einmal in sich zu gehen – und dabei auch über Entschädig­ungssummen nachzudenk­en. Nach der Pause die Überraschu­ng: Geschäftsf­ührer Philip Wettengel ergreift das Wort. Und klingt so, als sei er von der eigenen Linie selbst nicht mehr überzeugt. „Ich war nicht dabei. Mir ist berichtet worden, dass Sie früher gegangen sind. Die Zeugenauss­age war für mich glaubhaft“, sagt er. Man habe nur herausfind­en wollen, was wirklich passiert ist. Auch seine Anwältin schwankt: „Wir wissen nicht, was die Wahrheit ist.“Dennoch wolle man eine Beendigung­slösung.

Erst als Schlossers Anwältin erreicht, dass Helios öffentlich alle Vorwürfe zurücknehm­en und sich entschuldi­gen wird, ist eine Lösung in Sicht. Man einigt sich letztlich auf die beachtlich­e Summe von 400.000 Euro. Kurz droht wieder alles zu platzen: Helios will Schlosser die seit Juli einbehalte­nen Gehälter nicht auszahlen. Sie besteht darauf.

Die Richterin unterbrich­t wieder und mahnt in Richtung Wettengel: „Die Lösung liegt auf dem Tisch. Besser kommen Sie hier nicht raus.“Wettengel und seine Anwältin stimmen nach kurzer Beratung doch zu – wenn Schlosser verspricht, nichts Negatives über Helios mehr zu sagen. Erleichter­ung. „Mir fällt ein Stein vom Herzen“, sagt Schlosser später vor der Tür. „Ich muss jetzt meinen Frieden damit finden und in Ruhe nach einem neuen Job suchen.

“Der Chef des Marburger Bundes Hamburg, Dr. Pedram Emami, wertet den Ausgang als Erfolg. Helios habe versucht, „eine unbequeme und gewerkscha­ftlich engagierte Mitarbeite­rin einfach so loszuwerde­n. Damit sind sie nicht durchgekom­men.“Emamis Vorstandsk­ollege Dr. Alexander Schultz spricht gar von „Schweigege­ld“. Emami betonte, man werde als Gewerkscha­ft weiter beobachten, wie Helios mit seinen Mitarbeite­nden umgeht – „wenn nötig vor Gericht“.

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Die Ärztin Franziska Schlosser (54) im Flur des Arbeitsger­ichts
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