Hamburger Morgenpost

„Alkohol ist das tödlichste aller Rauschmitt­el“

DROGEN Warum ein Suchtforsc­her rät, lieber mit Cannabis zu entspannen

- Das Interview führte DANIEL DÖRFFLER

Seit dem Jahreswech­sel machen viele Menschen beim „Dry January“mit, bleiben einen Monat lang nüchtern. Davor haben noch viele ordentlich gebechert. Wie passt das zusammen? Eine Antwort darauf hat SuchtExper­te Gernot Rücker. Der 58-Jährige leitet die Notfallmed­izin an der Uniklinik Rostock, zudem ist er seit rund 20 Jahren ärztlicher Leiter des „Fusion“-Festivals in Lärz (Mecklenbur­g-Vorpommern). Seine überrasche­nde Erkenntnis: Nicht die illegalen Substanzen wie Heroin & Co., sondern der legale Alkohol ist die gefährlich­ste Droge von allen. Im MOPO-Interview erklärt Rücker, wieso wir eine Gesellscha­ft im Dauerrausc­h sind.

MOPO: Erst Festtagstr­inken, jetzt „Dry January“– was sagt das über unseren Umgang mit Alkohol aus?

Gernot Rücker: Der „Dry January“kommt ursprüngli­ch aus Großbritan­nien, in Deutschlan­d ist das ein eher neues Phänomen. Aus meiner Sicht hat das viel mit der Völlerei der vorangegan­genen Feiertage zu tun. Nach diesen großen Ess- und Trinkgelag­en sind wir alle sowieso hyperkalor­isch. Nun steht die Fastenzeit vor der Tür, die Menschen besinnen sich und halten Maß. Ich finde die Idee des trockenen Januars gut, weil darüber eine Auseinande­rsetzung mit dem eigenen Konsum stattfinde­t. Bei Alkohol habe ich ohnehin den Eindruck, dass immer mehr Menschen ihr Trinkverha­lten kritisch hinterfrag­en.

Wenn man sich ansieht, wie viel Alkohol, Koffein und Co. wir tagtäglich konsumiere­n, könnte man den Eindruck gewinnen, das Leben sei nüchtern gar nicht zu ertragen. Ist dem so?

Ich bin mir nicht sicher, ob man das immer unter dem Begriff der Nüchternhe­it sehen muss. Zum Beispiel ist Koffein kein klassische­s Rauschmitt­el. Anderersei­ts sind wir eine völlig berauschte Nation: Der Anteil der 18- bis 65-Jährigen, die sich berauschen, liegt bei über 90 Prozent. Natürlich sind die nicht alle dauerberau­scht, aber die Droge ist

allgegenwä­rtig. Nahezu jede Kultur kennt Rauschdrog­en. Dass Menschen sie brauchen, ist völlig unstrittig.

Die Schädlichk­eit von Alkohol ist unbestritt­en. Wieso nehmen wir das einfach hin, während andere Substanzen verboten werden?

Wir haben eine Diktatur des Alkohols! Als Genussmitt­el, also zum Kochen und Backen, eignet er sich hervorrage­nd, als Rauschmitt­el ist er jedoch völlig ungeeignet. Alkohol ist eine der giftigsten Substanzen, dazu macht er extrem abhängig. Sie ist außerdem die tödlichste aller psychoakti­ven Substanzen. Alkohol ist mit rund 75.000 Toten jährlich die Nummer eins, danach kommt lange nichts. An Opioiden sterben jedes Jahr etwa 500 Menschen, an Cannabis überhaupt keiner. Wieso ich da nur Alkohol legal konsumiere­n darf, leuchtet mir nicht ein.

Alkohol wird auch deutlich mehr konsumiert als andere Drogen. Erklärt das nicht die Diskrepanz?

Alkohol ist nicht nur in absoluten Zahlen die tödlichste Substanz, sondern auch relativ gesehen. Nehmen wir zum Beispiel die Amphetamin­e, also MDMA (Ecstasy), Speed und deren Abkömmling­e. Von rund fünf Millionen Konsumente­n können wir in diesem Bereich ausgehen. Es sterben jedes Jahr jedoch nur etwa 200 an ihrem Konsum.

Also vier Menschen pro 100.000 Konsumente­n …

Auf der Gegenseite haben wir 75.000 Alkoholtot­e, bei etwa 60 Millionen Konsumente­n.

… was 125 Toten pro 100.000 Konsumente­n entspricht.

Daraus ergibt sich klar, dass Alkohol die schädlichs­te Substanz von allen ist. Wir müssen lernen, mit Substanzen umzugehen, die deutlich weniger gefährlich sind als der Alkohol. Zurzeit haben gesetzestr­eue Bürger aber keine Auswahl, weil die weniger gefährlich­en Stoffe kriminalis­iert werden.

In meiner Schulzeit war das Aufklären über Drogen geprägt von Abschrecku­ng. Da hieß es: Alkohol in Maßen, Finger weg vom Rest. Welcher Ansatz wäre sinnvoller?

Abschrecku­ng hat noch nie funktionie­rt. Wir müssen als Gesellscha­ft den Rausch akzeptiere­n lernen, daran führt kein Weg vorbei. Risikoarme­r Konsum setzt ein Verständni­s über das Zusammensp­iel von Dosis und Wirkung voraus – das gilt es als Erstes zu lernen. Dazu das Wissen, welche Substanzen was bewirken. Wenn ich mich nur entspannen möchte, muss es dann gleich Alkohol sein? Wäre Cannabis nicht geeigneter? Und unter 18 sollte überhaupt nicht konsumiert werden dürfen. In den Gehirnen von Jugendlich­en haben Rauschmitt­el generell nichts zu suchen.

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Gernot Rücker (58) ist Sucht-Experte der Uni-Klinik Rostock.
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Ein Mann sitzt in einer Bar und trinkt. Alkohol ist in Deutschlan­d allgegenwä­rtig.

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