Gesprächstherapie nach Attacke auf Polizei
PROZESS Angeklagter soll auf Palästina-Demo ausgerastet sein
Hat Mahmoud N. bei einer Pro-Palästina-Demo andere Protestler zum Widerstand aufgestachelt? Hat er zwei Polizisten angegriffen, einen geschlagen, einen anderen gebissen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Harburger Amtsgericht. Gestern ist das Urteil gefallen – und der Angeklagte kann von Glück sprechen.
Der Angeklagte hat Glück gehabt. Der Richter macht dem jungen Mann aus Syrien deutlich: „Sie sind erst vor ein paar Tagen 21 Jahre alt geworden. Wären Sie zur Zeit des Tatgeschehens schon 21 gewesen, dann wären Sie hier mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten Gefängnis rausgegangen.“Vorgeworfen wurden ihm ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte
und Körperverletzung. Weil der Angeklagte aber 20 Jahre alt war, als es im vergangenen Oktober am Rande der Pro-Palästina-Demo auf dem Steindamm (St. Georg) zur Auseinandersetzung mit Polizisten kam, halte sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Richter das Jugendstrafrecht für angemessen. Das Urteil: eine viermonatige Gesprächsweisung. Dabei müssen junge Straftäter Gesprächstermine
wahrnehmen, an denen sie intensiv an ihren Problemen arbeiten. Mahmoud N. hatte stets den Darstellungen der Staatsanwaltschaft widersprochen: Er habe die Menge nicht mit den Worten „Free Palestine“oder „Allahu akbar“angestachelt und die Beamten, die seinen Ausweis forderten, habe er nicht attackiert. Auch Videos sollen dies beweisen. Im Gericht wurden vor der Urteilsverkündung mehrere Videos gezeigt, darunter Aufnahmen der Polizei und andere, die der Angeklagte eingereicht hatte. Ergebnis: „Die Videos belegen überhaupt nichts“, so der Richter. Sie zeigten weder den Angriff noch den erstmaligen Kontakt
zwischen Polizisten und Angeklagten. „Ich halte aber die Darstellungen der Beamten sowie die Beweisaufnahme nach Aktenlage für überzeugend.“
Zudem habe N. bei seiner erstmaligen Vernehmung andere Dinge gesagt als nun vor Gericht.
Der Richter hielt dem Mann aus Syrien zugute, dass er die Polizisten nicht gezielt angreifen, sondern vermutlich nur fliehen wollte. Er habe seinen Arm weggerissen, dabei einen Beamten im Gesicht getroffen.
Die Verletzungen, die dieser davontrug, waren weniger schlimm als zunächst gedacht. Trotzdem: „Sie haben eine Verletzung billigend in
Kauf genommen.“Nach der Urteilsverkündung fand der Richter noch einmal klare Worte für den Angeklagten, der sich zum Zeitpunkt des Tatgeschehens erst wenige Monate in Deutschland aufgehalten hatte.
Er sagte: „Sie sind zwar nicht vorbestraft, aber das ist auch in Anbetracht der Zeit, in der Sie hier sind, keine Kunst. Ihnen muss klar sein, egal woher Sie kommen, dass man den Aufforderungen der Polizei nachkommt. In keinem Land der Welt sollte man sich körperlich widersetzen.“Mahmoud N. hat nach eigenen Angaben seinen Vater im Krieg verloren und habe die Schule abbrechen müssen, um seine Familie zu unterstützen.