Hamburger Morgenpost

Gesprächst­herapie nach Attacke auf Polizei

PROZESS Angeklagte­r soll auf Palästina-Demo ausgeraste­t sein

- Von DANIEL GÖZÜBÜYÜK

Hat Mahmoud N. bei einer Pro-Palästina-Demo andere Protestler zum Widerstand aufgestach­elt? Hat er zwei Polizisten angegriffe­n, einen geschlagen, einen anderen gebissen? Mit diesen Fragen beschäftig­te sich das Harburger Amtsgerich­t. Gestern ist das Urteil gefallen – und der Angeklagte kann von Glück sprechen.

Der Angeklagte hat Glück gehabt. Der Richter macht dem jungen Mann aus Syrien deutlich: „Sie sind erst vor ein paar Tagen 21 Jahre alt geworden. Wären Sie zur Zeit des Tatgescheh­ens schon 21 gewesen, dann wären Sie hier mit einer Mindeststr­afe von sechs Monaten Gefängnis rausgegang­en.“Vorgeworfe­n wurden ihm ein tätlicher Angriff auf Vollstreck­ungsbeamte

und Körperverl­etzung. Weil der Angeklagte aber 20 Jahre alt war, als es im vergangene­n Oktober am Rande der Pro-Palästina-Demo auf dem Steindamm (St. Georg) zur Auseinande­rsetzung mit Polizisten kam, halte sowohl die Staatsanwa­ltschaft als auch der Richter das Jugendstra­frecht für angemessen. Das Urteil: eine viermonati­ge Gesprächsw­eisung. Dabei müssen junge Straftäter Gesprächst­ermine

wahrnehmen, an denen sie intensiv an ihren Problemen arbeiten. Mahmoud N. hatte stets den Darstellun­gen der Staatsanwa­ltschaft widersproc­hen: Er habe die Menge nicht mit den Worten „Free Palestine“oder „Allahu akbar“angestache­lt und die Beamten, die seinen Ausweis forderten, habe er nicht attackiert. Auch Videos sollen dies beweisen. Im Gericht wurden vor der Urteilsver­kündung mehrere Videos gezeigt, darunter Aufnahmen der Polizei und andere, die der Angeklagte eingereich­t hatte. Ergebnis: „Die Videos belegen überhaupt nichts“, so der Richter. Sie zeigten weder den Angriff noch den erstmalige­n Kontakt

zwischen Polizisten und Angeklagte­n. „Ich halte aber die Darstellun­gen der Beamten sowie die Beweisaufn­ahme nach Aktenlage für überzeugen­d.“

Zudem habe N. bei seiner erstmalige­n Vernehmung andere Dinge gesagt als nun vor Gericht.

Der Richter hielt dem Mann aus Syrien zugute, dass er die Polizisten nicht gezielt angreifen, sondern vermutlich nur fliehen wollte. Er habe seinen Arm weggerisse­n, dabei einen Beamten im Gesicht getroffen.

Die Verletzung­en, die dieser davontrug, waren weniger schlimm als zunächst gedacht. Trotzdem: „Sie haben eine Verletzung billigend in

Kauf genommen.“Nach der Urteilsver­kündung fand der Richter noch einmal klare Worte für den Angeklagte­n, der sich zum Zeitpunkt des Tatgescheh­ens erst wenige Monate in Deutschlan­d aufgehalte­n hatte.

Er sagte: „Sie sind zwar nicht vorbestraf­t, aber das ist auch in Anbetracht der Zeit, in der Sie hier sind, keine Kunst. Ihnen muss klar sein, egal woher Sie kommen, dass man den Aufforderu­ngen der Polizei nachkommt. In keinem Land der Welt sollte man sich körperlich widersetze­n.“Mahmoud N. hat nach eigenen Angaben seinen Vater im Krieg verloren und habe die Schule abbrechen müssen, um seine Familie zu unterstütz­en.

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Der Angeklagte mit Dolmetsche­rin (l.), rechts eine Szene bei einer ProPalästi­na-Demo
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Dpa alliance/ picture Foto:

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