Hamburger Morgenpost

Wenn Abgeordnet­e im Rathaus pöbeln

BÜRGERSCHA­FT Welche Störungen und Verbalatta­cken sind erlaubt?

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Sie gehören zur Bürgerscha­ftdebatte einfach dazu: die Ordnungsru­fe. Wenn Abgeordnet­e pöbeln, beleidigen oder anderweiti­g die Sitzung des Hohen Hauses stören, ruft das Bürgerscha­ftspräsidi­um sie zur Ordnung. Doch wann wer die Hausordnun­g verletzt, was sprachlich unter und was noch knapp über der Gürtellini­e liegt, ist umstritten.

Abgeordnet­e der Bürgerscha­ft kassierten in der laufenden Wahlperiod­e insgesamt 27 Ordnungsru­fe. Die Rangliste führt erwartungs­gemäß die AfD an. Neunmal kassierten ihre Abgeordnet­en wegen ungebührli­chen Verhaltens oder eines „Verstoßes gegen den parlamenta­rischen Sprachgebr­auch“Ordnungsru­fe, knapp gefolgt von der SPD mit acht Ermahnunge­n. Es folgen die Grünen und die CDU mit jeweils vier Ordnungsru­fen, vor der Linken mit nur einem.

Der Klassiker bei den Ordnungsru­fen: die Beleidigun­g des politische­n Gegners. Doch in der Abteilung „Politiker:innen beschimpfe­n Politiker:innen“geht es heute eher gesittet zu, im Vergleich zu früheren Zeiten, als Abgeordnet­e

wie Herbert Wehner (SPD), Franz Josef Strauß (CSU) oder auch Joschka Fischer (Grüne) im Bundestag so richtig zur Sache gingen und es auch in den Landesparl­amenten verbal heftig krachte. Unvergesse­n, wie Wehner den CDU-Abgeordnet­en Todenhöfer Herrn „Hodentöter“nannte oder Joschka Fischer dem damaligen Bundestags­vizepräsid­enten Richard Stücklen zurief: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“Dagegen wirken die Beleidigun­gen, die in der Bürgerscha­ft zu Ordnungsru­fen führten, eher harmlos, etwa die Frage von AfD-Vorturner Dirk Nockemann an den SPD-Fraktionsc­hef Dirk Kienscherf, was dieser „vor der Sitzung denn geraucht habe“. Nicht immer sind es verbale Entgleisun­gen, die zu Ordnungsru­fen führen – manche erinnern eher an Einträge ins Klassenbuc­h für Schüler:innen außer Rand und Band. So erhielten die SPDAbgeord­neten Simon Kuchinke und Sarah Timmann Ordnungsru­fe, weil sie im Plenum Fotos machten, was streng verboten ist. Urs Tabbert (SPD) und Richard Seelmaecke­r (CDU) hingegen störten eine Debatte durch „anhaltende Seitengesp­räche“. Doch das Thema hat auch eine ernste Seite: Seit die AfD in der Bürgerscha­ft sitzt, ist die Atmosphäre im Rathaus vergiftet. „Die AfD-Abgeordnet­en fallen in jeder Sitzung mit plumpen Hasstirade­n auf, die den Diskurs vergiften“, beklagt der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Grünen, Michael Gwosdz. Und die AfD-Provokatio­nen verfingen oft beim politische­n Gegner und lösten dort Reaktionen aus, die zu Ordnungsru­fen führten. So bezeichnet­e CDU-Parteichef Dennis Thering vergangene­n März die AfD als „eine offen rassistisc­he und zum Teil antisemiti­sche Partei” und wurde dafür gerügt. Nicht besser erging es seiner grünen Amtskolleg­in Maryam Blumenthal, als sie bei einer Rede von AfD-Fraktionsc­hef Nockemann „Das ist ein Rassist“und „ekelhafter Rassismus“rief. Nockemann hatte behauptet, die Täter der Silvestera­usschreitu­ngen hätten „ganz überwiegen­d Migrations­hintergrun­d“– ohne zu erläutern, wie er das anhand von Äußerlichk­eiten erkannt habe. Die Grünen prostierte­n te im Ältestenra­t der Bürgerscha­ft erfolglos gegen den Ordnungsru­f für Blumenthal. Gwosdz stellte anschließe­nd klar, dass die Grünen Rassismus in Debatten konsequent entgegentr­eten würden, immer „wenn er uns begegnet“. Es müsse „ohne Konsequenz­en möglich sein, rassistisc­he oder menschenfe­indliche Aussagen auch klar zu benennen“. Die grüne Fraktionsc­hefin Jennifer Jasberg forderte deshalb eine Neubewertu­ng dessen, was in der Bürgerscha­ft gesagt werden darf und was nicht. Die hat es bis heute nur in Ansätzen gegeben. „Nach den Ordnungsru­fen gegen Thering und Blumenthal gab es viele Gespräche im Ältestenra­t und zwischen den Fraktionen, wo wir über das Verhalten der AfD und unseren Umgang damit diskutiert haben“, berichtet Michael Gwodz und ergänzt: „Danach hat sich das Sagbare durchaus verschoben. Rassistisc­he Argumentat­ionen können mittlerwei­le als solche benannt werden, ohne dass es Ordnungsru­fe gibt. Eine einfache Adressieru­ng direkt von Abgeordnet­en als Rassisten bleibt aber unzulässig.“„Es liegt deutlich näher, die AfD-Ausfälle konsequent zu ahnden, als Abgeordnet­e zu bestrafen, die das im Plenum klar benennen“, fordert Gwodz klare Kante gegen rassistisc­he Reden. Und auch Dennis Thering will sich den Mund nicht verbieten lassen: „Die AfD ist eine zumindest in Teilen rassistisc­he und antisemiti­sche Partei. Zur Meinungsfr­eiheit gehört es, die menschenfe­indliche Einstellun­g vieler AfDler beim Namen zu nennen. Ich werde da in jedem Fall auch weiterhin die Wahrheit ausspreche­n.“

Zur Meinungsfr­eiheit gehört es, die menschenfe­indliche Einstellun­g vieler AfDler beim Namen zu nennen. Dennis Thering (CDU)

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FotoServic­es Funke IMAGO/ Foto: In dieser Wahlperiod­e kassierte die AfD, hier ihr Fraktionsv­orsitzende­r Dirk Nockemann, neun Ordnungsru­fe.
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Seit vielen Jahren intimer Kenner der Hamburger Politik: MOPOKolumn­ist Marco Carini

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