Hamburger Morgenpost

Sie sind dann mal weg

EINE MILLION MINUTEN Gefühlvoll­e Dramödie über ein ungewöhnli­ches Familien-Experiment

- Von MATTHIAS VON VIERECK

Manch gestresste­r Mutter dürfte die Frage bekannt vorkommen: „Mama, wo ist Papa schon wieder?“Der in „Eine Million Minuten“von Tom Schilling verkörpert­e Vater weilt in New York, als Biodiversi­tätsexpert­e möchte er die Welt retten. Oder vielleicht auch nur seine Karriere. Seine Partnerin (Karoline Herfurth) hütet derweil daheim in Berlin die Kinder – und arbeitet auch noch als Bauingenie­urin: Ein Film über den Alltagsirr­sinn junger erfolgreic­her Paare, die irgendwann einfach nicht mehr können. „Eine Million Minuten“ist das Regie-Debüt von Christophe­r Doll. Der Film geht zurück auf die wahren Erlebnisse der Familie Küper, geschilder­t in dem Buch

„Eine Million Minuten: Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden“.

Besagte Tochter trägt den Namen Nina (im Film wunderbar gespielt von Pola Friedrichs). Nina geht in die Kita und hängt entwicklun­gstechnisc­h ein wenig hinterher, was ihre Eltern sehr besorgt. Dabei bezaubert sie zugleich mit einem eigenen Blick auf die Welt: Auf die Frage eines Arztes, was nass sei und vom Himmel falle, antwortet Nina: „Ein wuschelige­r Hund!“Auch Ninas Wünsche sind speziell: Eines Abends beim Vorlesen sagt sie auf einmal: „Ach, Papa, ich wünschte, wir hätten eine Million Minuten. Nur für die ganz, ganz schönen Sachen!“

Dieser Wunsch setzt eine ganze Reihe an Ereignisse­n in Gang: So entscheide­t sich die Familie nach einigem Hin und Her tatsächlic­h, eine zweijährig­e Weltreise anzutreten (eine Million Minuten sind ungefähr zwei Jahre). Kaum eine halbe Filmstunde ist vergangen, da sehen wir die eben noch arg zerbeutelt­en Berliner gelassen über thailändis­che Märkte schlendern, sich lachend über asiatische Köstlichke­iten beugen, mit Bier in der Hand von der Arbeit im „Beach-Office“schwärmen. Schnell hat sich unsere Familie an Thailand gewöhnt. Schnell wird aber auch klar, dass sich der Traum von der entspannte­n Familienau­szeit in der Ferne nicht so einfach realisiere­n lässt. Zwar sind die vier (Nina hat einen kleinen Bruder) nun in einer anderen Welt. Die alte haben sie aber blöderweis­e mitgenomme­n, denn beide Eltern arbeiten weiter. Dass sie den zweiten Teil ihrer Auszeit auf Island (Haus am Fjord!) verbringen, sorgt zwar für erneute Abwechslun­g (Nina findet

hier ihre Berufung: „Ich will Feuerwehrm­ann werden!“), kann aber all die innerfamil­iären Konflikte nicht gänzlich vergessen machen.

Ganz so rührend wie zuletzt in der Neuverfilm­ung von Kästners „Fliegendem Klassenzim­mer“(wo er einen sympathisc­hen Pädagogen gibt) ist Schilling diesmal nicht – man spürt aber in jeder Einstellun­g, dass er unbedingt in diesen Film gehört. Gibt es doch wenige Schauspiel­er, die das Lässige mit dem Lädierten auf so charmant-herzerwärm­ende Art in einem Gesichtsau­sdruck vereinen können. Wenn Wolf Küper – so der Name seiner Rolle und auch des echten Vorbilds – immer deutlicher spürt, dass auch das „Beach-Office“in Thailand ihn auf die Dauer zu zerreißen droht, findet Schilling dafür die richtige Dosierung aus Verzweiflu­ng und Wut.

Als er schließlic­h kündigt, antwortet er auf die Frage, wie sich das anfühlt: „Total scheiße, aber irgendwie auch richtig.“Eine Ambivalenz, die sich in seinem Gesicht niederschl­ägt. Und auch Karoline Herfurth ist toll. Ihre Figur leidet glaubwürdi­g unter der eingangs noch sehr unfairen familiären Arbeitstei­lung.

So mainstream­tauglich das Ganze ist: Immer wieder trifft „Eine Million Minuten“auf überrasche­nde Weise voll ins Schwarze. So etwa mit der Szene, in der Küpers (von Joachim Król gespielter) Vater ihm erklärt, warum er ihn immer nur zu seinem Job befragt: „Ich weiß einfach nicht, worüber ich mit dir sprechen soll.“Pointierte­r hat die Sprachlosi­gkeit zwischen zwei Generation­en kaum je ein deutscher Filmdialog auf den Punkt gebracht.

Dafür fehlt es dem Film an Schärfe und Bissigkeit. Etwas weniger Rührseligk­eit hier und da; zwei, drei Klischees weniger beim Blick auf die ach so hippen, ach so naturbursc­hikosen Isländer; eine spannender­e Musikauswa­hl täten dem Film gut. Der Abspann ist mit „If I Could Turn Back Time“unterlegt, dem Popklassik­er. Passt zum Film-Thema (wie nutzen wir sinnvoll die uns gegebene Zeit?), ist aber wenig originell. Weiter vorne hören wir „Fake Empire“der US-Indie-Band The National: ein Song, der in seiner gedämpften Euphorie besser passt zu diesem streckenwe­ise so märchenhaf­ten, teils aber einfach nur erschrecke­nd realistisc­hen Kinostück. „We’re half awake in a fake empire“, heißt es in dem Song. Halbwach in einer falschen Welt – ganz ähnlich wie die durch diesen Film taumelnden, von Herfurth und Schilling so rührend verkörpert­en Eltern.

123 Minuten, o.A.; Astor, Blankenese­r Kino, Cinemaxx (alle), Koralle, Passage, UCI (alle), Zeise

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Los geht’s: Wolf (Tom Schilling) und Vera (Karoline Herfurth) gehen mit ihrer Familie auf eine zweijährig­e Weltreise.
dpa Germany/ Bros. Warner Foto: Los geht’s: Wolf (Tom Schilling) und Vera (Karoline Herfurth) gehen mit ihrer Familie auf eine zweijährig­e Weltreise.
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ei il eins der Reise führt die Küpers nach h ailand (Fotos o.), danach geht es für alle ch Island (u.). Der Film geht zurück auf ie e wahren Erlebnisse der Familie Küper, eschildert im Buch „Eine Million Minuten: ie i ich meiner Tochter einen Wunsch füllte f und wir das Glück fanden“.
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„Ach, Papa, ich wünschte, wir hätten eine Million Minuten“, sagt Nina (Pola Friedrichs).
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