Hamburger Morgenpost

Wie man quälendes Warten übersteht

LANGEWEILE Im Stau, beim Arzt, am Bahnsteig oder in der Telefonhot­line: Mit einigen Tricks vergeht die Zeit viel angenehmer

- Von SABINE MAURER

Warten im Stau, warten in der Telefonhot­line, warten beim Arzt: Der moderne Mensch wartet oft, aber meist nicht gerne. Dabei könnte er sich den unvermeidb­aren Zustand angenehmer gestalten, wie der Komiker und Schauspiel­er Armin Nagel aus Köln meint. Er hat während der Corona-Zeit das Buch „Schöner warten“geschriebe­n.

„Man muss der Situation einen anderen Rahmen geben“, rät Nagel. „Wenn etwa eine Zugverspät­ung von einer Stunde angekündig­t wird, werden Amateure wütend, Profis sind vorbereite­t.“Jeder könne lernen, gut oder zumindest besser zu warten, indem er seine Einstellun­g ändert.

„Ich kann gut warten und bin vom Typ her nicht ungeduldig“, sagt etwa Coach Monika Scheddin aus München über sich. „Das hat auch was mit Werten zu tun.“Denn Geduld sei eine Art von Großzügigk­eit anderen Menschen gegenüber. Wichtig sei zudem, die Situation zu akzeptiere­n und nicht dagegen anzukämpfe­n, indem man etwa aggressiv, eingeschna­ppt oder beleidigen­d reagiert. Zudem ist Humor hilfreich. „Wer über Probleme lachen kann, schmust schon mit der Lösung“, so Scheddin. Auch der Soziologe Andreas Göttlich von der Universitä­t Konstanz, der zu dem Thema Warten geforscht hat, empfiehlt eine relaxte Einstellun­g. „Wenn man nicht ständig mit dem Verdacht herumläuft, dass man vielleicht ungerecht behandelt wird oder Dinge schlecht gemacht werden, fällt das Warten leichter“, erklärt er. „Man kann auch einfach mal akzeptiere­n, dass Dinge ihre Zeit brauchen.“Untersuchu­ngen hätten gezeigt, dass die Wartezeit angenehmer empfunden werde, wenn der Mensch sich dabei beschäftig­e. Es sei daher sinnvoll, sich auf Wartezeite­n vorzuberei­ten. Das hat der Komiker Nagel getan, indem er sich auf seinem Handy einen Ordner für „Wartemomen­te“angelegt und darauf Podcasts geladen hat, die er hören möchte.

Auch nutzt er sein Handy, um bewusst zur Ruhe zu kommen. Dann stellt er die Stoppuhr auf 4 Minuten und 33 Sekunden, macht die Augen zu und konzentrie­rt sich darauf zu hören, was um ihn herum geschieht. Inspiriert wurde er dazu von dem Stück „4’33“des amerikanis­chen Komponiste­n John Cage. In dieser Zeit wird kein Ton gespielt, zu hören sind nur die Umgebungsg­eräusche.

Auch Scheddin empfehlt, die Wartezeit als Gelegenhei­t zu nutzen: Man könne zum Beispiel lesen, meditieren, Leute ansprechen, ein Gedicht auswendig lernen, schlendern oder einfach nur mal dasitzen, sagt sie. Die Hauptsache ist, man verbringt die Zeit des Wartens selbstbest­immt. Dann ist man raus aus der Opferrolle, die das Warten schwierig macht.

Ein weiterer Weg gegen das Ohnmachtsg­efühl ist die Informatio­n, wie Nagel weiß. So könne man sich zum Beispiel erkundigen, wann der nächste Zug fahre und was der Grund für die Wartezeit sei. Auch sollte man sein Wissen mit anderen Wartenden teilen, das nehme ebenfalls Druck raus. Sehr geschickt ist laut dem Wissenscha­ftler Göttlich ein Freizeitpa­rk vorgegange­n, der seinen Kunden beim Eintritt eine Art Joker zum Vordrängel­n übergibt. Diesen können die Menschen dazu nutzen, um an einem Fahrgeschä­ft ihrer Wahl an der Warteschla­nge vorbeizuge­hen – und so in eine aktive Rolle zu schlüpfen.

Nützlich ist laut Göttlich zudem reflektier­tes Denken während der Wartesitua­tion. Der Verkehr staut sich? Ich bin nicht der Einzige, auch die anderen haben Termine, wäre ein hilfreiche­r Gedanke. Warten zu können, hat nicht in allen, aber in vielen Fällen Vorteile – auch für die Gesellscha­ft. „Es ist eine soziale Tugend, ohne die eine Gesellscha­ft nicht funktionie­ren kann“, so der Soziologe Göttlich. Denn wenn einer wartet, profitiere­n meist andere, zum Beispiel im Straßenver­kehr. Für jeden persönlich bringe mehr Gelassenhe­it nicht nur den kurzfristi­gen Vorteil von besseren Nerven, sondern sogar langfristi­g mehr Erfolg.

Göttlich verweist hierzu auf das sogenannte Marshmallo­wExperimen­t mit Vorschulki­ndern in den USA. Ihnen wurde etwas Leckeres zum Essen hingestell­t und gesagt, sie würden mehr davon bekommen, wenn sie warten würden. „Diejenigen, die warten konnten, waren später erfolgreic­her im Leben“, so Göttlich. „Die konnten ihre Zeit strategisc­h besser einsetzen.“Es hängt jedoch auch von der Kultur ab, ob jemand gut warten kann, wie laut Göttlich ein interkultu­relles Marshmallo­w-Experiment zeigte, bei dem Kinder aus Kamerun deutlich besser als der Nachwuchs aus Deutschlan­d abschnitte­n. Denn die Menschen im Westen tun sich generell schwerer mit dem Gefühl der Ungerechti­gkeit und der Ungewisshe­it - das macht sie zu eher schlechten Wartenden. Auch ist ihr Leben oft vollgepack­t, sie sind ungeduldig und wollen schnell sein. Armin Nagel erklärt den schlechten Ruf des Wartens daher in Komikerwor­ten: „Die Leute wollen nicht besser warten, sondern besser nicht warten.“

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Der Zug kommt nicht? Darüber kann man sich ärgern. Oder man macht ein Nickerchen.
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Coach Monika Scheddin rät dazu, nervige Situatione­n mit Humor zu nehmen.
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 ?? ?? Komiker Armin Nagel hat das Buch „Schöner warten“geschriebe­n. Lübbe Life, 299 S., 18 Euro
Komiker Armin Nagel hat das Buch „Schöner warten“geschriebe­n. Lübbe Life, 299 S., 18 Euro

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