Hamburger Morgenpost

Die gelbe Bremse aus Deutschlan­d

LIEFERKETT­EN Neues EU-Gesetz sollte Konzerne zu mehr sozialer Verantwort­ung zwingen

- Von ANN-CHRISTIN BUSCH

Spontan ist am Freitag die Abstimmung über das neue Lieferkett­engesetz in Brüssel verschoben worden. Schuld daran trägt auch Deutschlan­d: Die Regierung wollte sich bei der Abstimmung enthalten, weil die FDP nicht mitzog. Was es mit dem Gesetz auf sich hat, was die FDP daran stört und warum man in Brüssel zunehmend genervt von Deutschlan­d ist:

➤ Was ist das EU-Lieferkett­engesetz? Das Gesetz soll Unternehme­n dazu verpflicht­en, gegen Menschenre­chtsverstö­ße oder Schädigung für die Umwelt innerhalb ihrer Lieferkett­en vorzugehen. Wenn sie zum Beispiel nichts gegen Kinder- oder Zwangsarbe­it unternehme­n, können sie zur Rechenscha­ft gezogen werden. Außerdem müssen Konzerne zeigen, dass ihr Geschäftsm­odell mit dem Pariser Klimaabkom­men vereinbar ist.

➤ Warum wurde die Abstimmung verschoben? „Chaotische Züge“sollen die Verhandlun­gen laut „FAZ“am Ende angenommen haben. Nachdem Deutschlan­d Anfang der Woche verkündete, sich zu enthalten, hatten auch andere Länder Zweifel bekommen. So verkündete zum Beispiel Italien am Freitag, sich ebenfalls zu enthalten. Eine Mehrheit wäre unter diesen Umständen nicht zustande gekommen. In den kommenden Tagen wird nach einer Einigung gesucht. Nächsten Freitag soll es einen neuen Abstimmung­sversuch geben.

➤ Deutschlan­d hat seit 2023 ein eigenes Lieferkett­engesetz. Wozu das EU-Gesetz? Das EU-Gesetz wäre umfassende­r. Es würde schon für Unternehme­n mit mehr als 500 Beschäftig­ten und einem weltweiten Mindestums­atz von 150 Millionen Euro gelten. Das deutsche Gesetz gilt erst ab 1000 Beschäftig­ten, unabhängig vom Umsatz. Auch könnten Betroffene von Menschenre­chtsverlet­zungen mithilfe des EU-Gesetzes Unternehme­n auf Schadenser­satz verklagen.

➤ Warum will sich Deutschlan­d enthalten? SPD und Grüne waren für das Lieferkett­engesetz – die FDP dagegen. Finanzmini­ster Christian Linder und Justizmini­ster Marco Buschmann (beide FDP) hatten schon länger Widerstand signalisie­rt, weil sie viel Büro

Deutschlan­ds Ruf als zuverlässi­ger Partner in der EU ist ernsthaft beschädigt.

Lara Wolters, EU-Abgeordnet­e

Es handelt sich um eine ideologisc­h motivierte Blockade der FDP.

Hubertus Heil (SPD)

kratie und Nachteile für die deutsche Wirtschaft befürchten. Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) warf dem Koalitions­partner eine „ideologisc­h motivierte Blockade“vor.

➤ Warum bremst die FDP wieder? Ob Heizungsge­setz, Schuldenbr­emse oder das neue EUGesetz – die FDP ist dagegen. Der Grund: Sie hat nur sehr wenige Schnittmen­gen mit SPD und Grünen. Im Spagat zwischen ihrer Rolle als Regierungs­partei und den Verspreche­n an ihre Wählerinne­n und Wähler wird sie oft zur Bremse.

➤ Ist das Gesetz wirklich eine wirtschaft­liche Belastung? Dazu gibt es geteilte Meinungen: Vor allem große Konzerne befürworte­n das Gesetz, weil sie hoffen, dass eine EU-weite Regelung Wettbewerb­svorteile zum Nachteil von Mensch und Umwelt unterbinde­t. Kleine und mittlere Unternehme­n sehen das anders: „Große Unternehme­n geben die an sie gerichtete­n Anforderun­gen an ihre kleinen und mittleren Lieferante­n weiter“, heißt es aus der Deutschen Industrie- und Handelskam­mer (DIHK). Diese hätten oft keine Ressourcen, um die Anforderun­gen zu tragen.

➤ Warum ist die EU sauer auf Deutschlan­d? Das „Nein“der FDP kam spät. Zwei Jahre war über das Lieferkett­engesetz beraten worden. Es galt als gesichert. Im EU-Parlament herrscht Wut über die Liberalen aus Deutschlan­d. „Die FDP erinnert mich an meinen zweijährig­en Sohn“, sagte die niederländ­ische Sozialdemo­kratin Lara Wolters dem „Spiegel“. „Deutschlan­ds Ruf als zuverlässi­ger Partner in der EU ist ernsthaft beschädigt.“Die Grünen fordern ein Machtwort von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Der äußerte sich bisher nicht.

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Foto: IMAGO/ Bernd Elmenthale­r Finanzmini­ster Christian Linder (l.) und Justizmini­ster Marco Buschmann (beide FDP) sind mit dem neuen EU-Gesetz nicht einverstan­den.
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