Die gelbe Bremse aus Deutschland
LIEFERKETTEN Neues EU-Gesetz sollte Konzerne zu mehr sozialer Verantwortung zwingen
Spontan ist am Freitag die Abstimmung über das neue Lieferkettengesetz in Brüssel verschoben worden. Schuld daran trägt auch Deutschland: Die Regierung wollte sich bei der Abstimmung enthalten, weil die FDP nicht mitzog. Was es mit dem Gesetz auf sich hat, was die FDP daran stört und warum man in Brüssel zunehmend genervt von Deutschland ist:
➤ Was ist das EU-Lieferkettengesetz? Das Gesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, gegen Menschenrechtsverstöße oder Schädigung für die Umwelt innerhalb ihrer Lieferketten vorzugehen. Wenn sie zum Beispiel nichts gegen Kinder- oder Zwangsarbeit unternehmen, können sie zur Rechenschaft gezogen werden. Außerdem müssen Konzerne zeigen, dass ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist.
➤ Warum wurde die Abstimmung verschoben? „Chaotische Züge“sollen die Verhandlungen laut „FAZ“am Ende angenommen haben. Nachdem Deutschland Anfang der Woche verkündete, sich zu enthalten, hatten auch andere Länder Zweifel bekommen. So verkündete zum Beispiel Italien am Freitag, sich ebenfalls zu enthalten. Eine Mehrheit wäre unter diesen Umständen nicht zustande gekommen. In den kommenden Tagen wird nach einer Einigung gesucht. Nächsten Freitag soll es einen neuen Abstimmungsversuch geben.
➤ Deutschland hat seit 2023 ein eigenes Lieferkettengesetz. Wozu das EU-Gesetz? Das EU-Gesetz wäre umfassender. Es würde schon für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Mindestumsatz von 150 Millionen Euro gelten. Das deutsche Gesetz gilt erst ab 1000 Beschäftigten, unabhängig vom Umsatz. Auch könnten Betroffene von Menschenrechtsverletzungen mithilfe des EU-Gesetzes Unternehmen auf Schadensersatz verklagen.
➤ Warum will sich Deutschland enthalten? SPD und Grüne waren für das Lieferkettengesetz – die FDP dagegen. Finanzminister Christian Linder und Justizminister Marco Buschmann (beide FDP) hatten schon länger Widerstand signalisiert, weil sie viel Büro
Deutschlands Ruf als zuverlässiger Partner in der EU ist ernsthaft beschädigt.
Lara Wolters, EU-Abgeordnete
Es handelt sich um eine ideologisch motivierte Blockade der FDP.
Hubertus Heil (SPD)
kratie und Nachteile für die deutsche Wirtschaft befürchten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warf dem Koalitionspartner eine „ideologisch motivierte Blockade“vor.
➤ Warum bremst die FDP wieder? Ob Heizungsgesetz, Schuldenbremse oder das neue EUGesetz – die FDP ist dagegen. Der Grund: Sie hat nur sehr wenige Schnittmengen mit SPD und Grünen. Im Spagat zwischen ihrer Rolle als Regierungspartei und den Versprechen an ihre Wählerinnen und Wähler wird sie oft zur Bremse.
➤ Ist das Gesetz wirklich eine wirtschaftliche Belastung? Dazu gibt es geteilte Meinungen: Vor allem große Konzerne befürworten das Gesetz, weil sie hoffen, dass eine EU-weite Regelung Wettbewerbsvorteile zum Nachteil von Mensch und Umwelt unterbindet. Kleine und mittlere Unternehmen sehen das anders: „Große Unternehmen geben die an sie gerichteten Anforderungen an ihre kleinen und mittleren Lieferanten weiter“, heißt es aus der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Diese hätten oft keine Ressourcen, um die Anforderungen zu tragen.
➤ Warum ist die EU sauer auf Deutschland? Das „Nein“der FDP kam spät. Zwei Jahre war über das Lieferkettengesetz beraten worden. Es galt als gesichert. Im EU-Parlament herrscht Wut über die Liberalen aus Deutschland. „Die FDP erinnert mich an meinen zweijährigen Sohn“, sagte die niederländische Sozialdemokratin Lara Wolters dem „Spiegel“. „Deutschlands Ruf als zuverlässiger Partner in der EU ist ernsthaft beschädigt.“Die Grünen fordern ein Machtwort von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Der äußerte sich bisher nicht.