Bildungskrieg im Schulfrieden
dpa alliance/ picture Foto: sich den Prüfungsstoff fürs Abitur in ihre grauen Zellen zu pressen. Auch Bekeris’ überraschend zurückgetretener Vorgänger Ties Rabe (SPD) hatte eine Verlängerung stets vehement abgelehnt. Kaum war das Initiativschreiben bekannt geworden, da meldete sich postwendend die G9Volksinitiative zu Wort. Sie will notfalls per Volksentscheid erreichen, dass es an allen Schulen neun Jahre bis zum Abi dauert, und verwahrte sich dagegen, als Totengräber der Stadtteilschulen herhalten zu müssen. Die Unterstellung, sie schwächte die Stadtteilschulen, sei eine „rein ideologisch motivierte Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt“, konterte die Volksinitiative. Sie war erst im Januar zustande gekommen, nachdem sie das erforderliche Quorum von 10.000 gültigen Unterschriften von Hamburger Bürger:innen um fast 5000 übertroffen hatte. Der Zwist der Initiativen um ein Schuljahr mehr oder weniger an den Gymnasien und die Bedeutung tung dieser
Frage für die Zukunft der Stadtteilschulen zeigt vor allem eines: Es wird in Hamburgs Schulpolitik nicht mehr in größeren Zusammenhängen gedacht. Denn die beiden Initiativen, die nun verbal aufeinander losgehen, wollen im Grunde dasselbe: Mehr Gelder für die Bildung, bessere Lernbedingungen für alle Schüler:innen. Doch da sie an unterschiedlichen Punkten ansetzen und die Wechselwirkungen im Gesamtsystem ausblenden, entsteht daraus kein neu justiertes Schulkonzept, sondern Flickschusterei am Bildungsteppich.
Und es gibt nicht nur die beiden genannten Akteure; längst sammelt auch die Initiative „Bildung ohne Zwang“Unterschriften, um auch zur Volksinitiative aufzusteigen. Ihr Fokus: Für Kinder, die in der Schule nicht zurechtkommen, soll es mit Homeschooling und kostenfreien Privatschulen Bildungsalternativen geben.
Dass hier diverse Initiativen vor sich hin und nebeneinanderher he werkeln, ist t die Folge ein nes politichen sc Schulrschlusses. te 20 010 vereinbarten alle damals in der Bürgerschaft vertretenen Parteien einen „Schulfrieden“. Der Plan: Nachdem sich jahrelang die Schulreformen gegenseitig nur so überrollt hatten, in Permanenz hier probiert, da getestet, dort wieder verworfen wurden, sollte erst mal zehn Jahre Ruhe im Karton sein. Kein Eckpfeiler des Schulsystems sollte mehr angetastet werden.
Der Schulfrieden, der inzwischen bis 2025 verlängert wurde, sorgte für eine Friedhofsruhe im Hamburger Bildungssystem: Leichenstarre statt Lebendigkeit. Während sich die Gesellschaft und damit Lernanforderungen und -bedingungen rapide veränderten, die Schüler:innenschaft immer heterogener wurde, verordnete der Schulfrieden der Bildungslandschaft Stagnation pur und fand mit Rabe den idealen Statthalter für das System des Stillstands. Nicht nur Veränderungen des Schulsystems waren sakrosankt, schon die Debatte darüber galt als Frevel und Tabubruch.
Der Abgang Rabes könnte nun Bewegung ins System bringen, das Auslaufen des Schulfriedens zu Ende dieser Legislaturperiode sowieso. Entscheidend wird die Antwort auf die Frage sein, ob Bekeris wie Rabe nur verwaltet oder auch gestaltet. Am gestrigen Freitag luden die Fraktionen der Grünen und der SPD erst einmal die G9Initiative für die Verlängerung der gymnasialen Schulzeit ins Rathaus zum Austausch ein. Die frohe Botschaft könnte lauten: Es darf über die Schule der Zukunft in Hamburg zumindest wieder diskutiert werden.
Der Schulfrieden sorgte für Friedhofsruhe im Hamburger Bildungssystem: Leichenstarre statt Lebendigkeit.