Hamburger Morgenpost

15. Dezember 1973

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Schule nach ein paar Semestern wieder, als ihn der Direktor vor die Wahl stellt: „Wollen Sie weiterhin Ihre Hottentott­en-Musik machen oder sich ernsthaft um Ihr Studium kümmern?“Lindenberg entscheide­t sich für die Hottentott­en, was zur Folge hat, dass er, da er nicht mehr an der Hochschule eingeschri­eben ist, zur Bundeswehr eingezogen wird. Nach dem Wehrdienst als Kanonier bei der Raketenart­illerie in Wesel geht er 1968 nach Hamburg, wo er noch im gleichen Jahr Schlagzeug­er der Gruppe

City Preachers wird, der ersten Folk-Rock-Band Deutschlan­ds. Lindenberg musiziert auch in Klaus Doldingers legendärer JazzrockPa­ssport und ist mit von der Partie, als die berühmte „Tatort“Melodie eingespiel­t wird. Lindenberg­s Solokarrie­re beginnt Anfang der 70er Jahre. Zur selben Zeit, als in der DDR Erich Honecker an di Macht kommt, die Amerik ner in Vietnam Agent Oran ge versprühen und die „Sen - dung mit der Maus“erstmal über den Bildschirm flim mert, ja, genau zu dieser Ze bringt Udo sein erstes Al bum raus. „Lindenberg heißt es. Er singt auf Englisc – und die Scheib floppt.

Er erkennt, das er seinen Stil ä dern muss. Er ist 2 Jahre alt, als er i m Frühjahr 1973 i n Münster zusam mmen mit Steffi Ste - phan (Bass), Gott ta fried Böttger (Pi no), Peter „Backi Backhausen (Schlagzeug Karl Allaut (Gitarre) und Ju u dith Hodosi (Saxophon) ein e neue Rockband gründet, di e zunächst keinen Namen h a – der Beginn einer Erfolgs -

egeschicht­e, nur, dass er und seine Freunde das noch nicht wissen.

Wie die Band dann doch noch zu ihrem Namen kommt? Es geschieht am Rande eines Auftritts im Kolpinghau­s der westfälisc­hen Kleinstadt Telgte. Da hat Bassist Steffi Stephan einen Geistesbli­tz: „Über den Notaus än en tand damal s ‚Panikbel chtu ‘. te ich z en a e ie wär’ enn,

un, anikorches­ter‘ nennen?“A lle stimmen zu. Damit ist s beschlosse­n.

Die Songtexte sind von nfang auf Deutsch. Das ist ehr mutig, denn abgesehen on „Ton Steine Scherben“at sich bis dahin kein deutcher Rockmusike­r getraut, in der Mutterspra­che zu sinen.

Die Entscheidu­ng aber ist oldrichtig. Das Album „Als klar auf der Andrea-Doria“– aufgenomme­n in den Teldec-Studios im ehemaligen Emelka-Palast an der Ecke Osterstraß­e/Heußweg in Eimsbüttel – wird ein Mega-Erfolg. Lindenberg, der mehr nuschelt als singt, wird über Nacht zum Star. Die Jugend ist fasziniert von seiner schnoddrig­en coolen Art – viele Erwachsene treibt sie zur Weißglut.

Ich bin fest davon überzeugt: Die Texte von Udo sind das Geheimnis des Erfolgs. Bassist Steffi Stephan

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„Ich bin fest davon überzeugt: Die Texte von Udo sind das Geheimnis des Erfolgs“, sagt Bassist Steffi Stephan. Und Recht hat er. Lindenberg­s Lieder sind echte Literatur! Er hat den Menschen was zu sagen: Er hält den Spießern den Spiegel vor, macht den Leuten Mut, sich ihre Träume zu bewahren, wettert gegen Nazis, tritt für Abrüstung und Umweltschu­tz ein. Lindenberg­s Credo: „Make love, not war.“In Hamburg wohnt Udo zunächst in einer WG – mit Leuten, die damals noch genauso unbekannt sind wie er, es aber später ähnlich weit bringen: Otto Waalkes und Marius Müller-Westernhag­en zum Beispiel. Die Adresse der „Villa Kunterbunt“: Rondeel 29, Winterhude. Hier werden wilde Partys gefeiert, Lindenberg schreibt seine Lieder und trägt sie seinen Mitbewohne­rn vor. Es wird musiziert und gealbert. Es gibt häufigen Frauenbesu­ch und manchmal auch handfesten Streit – darüber, wer den Abwasch macht und wer den Müll rausbringt. Wie bei normalen Menschen. Legendär ist, wie Udo Lindenberg den DDR-Staatsrats­vorsitzend­en Erich Honecker durch den Kakao zieht. Lindi ist in den 80er Jahren nicht nur in West-, sondern auch in Ostdeutsch­land ein Star - und möchte gerne durch die DDR touren. Als ihm das verwehrt wird, schreibt er den Song „Sonderzug nach Pankow“. Unvergessl­ich diese Zeilen: „Ich hab ’n Fläschchen Cognac mit und das schmeckt sehr lecker. Das schlürf‘ ich dann ganz locker mit dem Erich Honecker …“Die Stasi schäumt. Und doch bekommt Lindenberg die langersehn­te Erlaubnis, im

Palast der Repu blik a fz ten.

Das legendär e Ko ert 4000 sorgsam a usge ählt Jugendlich­en det am 2 Oktober 1983 st a t. „ rinnen saßen nur linie u Steiffu tiere unter Vali , e echde ten Paniker for drauerin ßen ihren Udo“, sich Lindenberg. Vie arf er singen – und b r er t, ruft er in den Sa a „ n deu schem Boden d f nie eder Krieg ausgehen eg m lr lem Raketensc in de Bundesrepu­bli u r DDR. Nirgend o o len wir eine R a ete sehen, keine Perine shings und kei SS-20!“

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D D R - Fü h r u Konsequenz en und sagt Linde nnie bergs DDR-Ko zerttourne­e, d im Jahr dara u stattfinde­n sol wieder ab. Bi s

1990 müssen di e

Fans im Osten warten: Dann endlich spielt ihr Idol für sie. re r ei m Punkt gelingt es do Lindenberg nicht, aners zu sein als sein Den Hang zu kohol, den hat er vo g . erleid r Herzinfar , sä t aber weiter n al zw i lac n Whis am Tag. t 50 i er Al - er.

Al er 5 st, w r mit ,7 P mill s Kranke au inge efert. „Ich h te r no Restblut im A oh “, be ennt er freimüti .D Na ht säuft er auf d m Ki z du ch, und wer vor d m fr en bend versucht, ih zu reic en, wird von der ele nist des Hotels „Atl tic , n dem wohnt, bge mme „So frü - n wir n nic ören.“den s Bru er s t 0 m Alter 67 Jahren – s Verlust ä Linde r les. Der Panikrocke­r t Besinnung. Wird der nüc te . nd rät nun auc

Weg mit allem Raketensch­rott in der Bundesrepu­blik und der DDR. Nirgendwo wollen wir eine Rakete sehen. Lindenberg 1983 in Ost-Berlin

Alko ab:a „M an mac nur Mist und et nimmt si scheiße“, s er. Heute ge migt Lindenan berg sich ab un ein Eierr likörchen. Me nicht. Ohne Alkohol klappt’s auch wieder mit der Karriere. Zehn Jahre war er weitgehend weg vom Fenster, hat nur noch seine „Ligemalt. körelle“Aber 008, im Alter vo 61 Jahren, feiein rt er unfassbare Comeback. ann, ich hab mich selber fast ve or’n/Doch o ’n Hero stürzt ab, steht auf, st tet von or n“, singt er Song „Ich zie h’ meinen Hu t“und lanet d mit „Stark wie zwei“, seinem 35. Stu ioa - bum, Top-Chart-Platzierun­gen.

Im Juni 2011 gibt er ein „MTV-Unplugged“-Konzert auf Kampnagel – ein Ritterschl­ag für jeden Musiker. Im selben Jahr startet sein Musical „Hinterm Horizont“und ist megaerfolg­reich – genau wie der Film „Lindenberg! Mach dein Ding“, der 2020 in die Kinos kommt. 2021 kommt anlässlich von Lindenberg­s 75. Geburtstag das Best-of-Album „Udopium“auf den Markt – und wird, na klar, ein Renner. Im Song „Wieder genauso“zieht Lindenberg Bilanz. Nachts besucht ihn der Tod und fragt: „Wenn du heute noch mal anfangen könnt’st von vorn: Welchen anderen Weg hätt’st du vielleicht genommen? Welche Partys ausgesen?

dllas Und welchen Fe hler nich’ geacht?“Und wie ä llt Lindenberg­s A ntwort aus? „Ich w ürd’s wieder geauso tun, genauso, ie es war. Mit jeem Höhenflug nd jeder Talabahrt.“f V on Talabfahrt ann a tuell nicht mehr die Rede sein. Nur noch Höhenflug ist angesagt. Im September 2022 wird Udo Lindenberg eine ganz besondere Ehre zuteil. Die Hamburgisc­he Bürgerscha­ft verleiht ihm die höchste Auszeichnu­ng, die die Stadt zu vergeben hat: die Ehrenbürge­rschaft.

Im Musikgesch­äft geht es ebenfalls weiter aufwärts. Mit inzwischen 77 Jahren gelingt es dem Mann tatsächlic­h noch, einen Rekord zu knacken, der nicht mehr knackbar zu sein schien: Der Song „Komet“, den Lindenberg gemeinsam mit dem Rapper Apache 207 aufnimmt, steht 2023 sagenhafte 21 Wochen an der Spitze der deutschen Top 100 und ist damit der erfolgreic­hste Nummer-eins-Hit der deutschen Musikgesch­ichte. Unfassbar, zumal Altrocker Lindenberg und der blutjunge Apache 207 aus völlig unterschie­dlichen Welten kommen und nichts gemeinsam zu haben scheinen. Und doch: Wenn die beiden den Refrain anstimmen, der von Sehnsucht nach Unsterblic­hkeit erzählt und vom Trost im Rausch, und wenn dazu das Schlagzeug zischt und ein Gitarrenso­lo sich leise in Richtung Ewigkeit gniedelt, dann ist es fast so, als hätten sich zwei Seelenverw­andte gefunden.

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