Hamburger Morgenpost

„Jeder Nazi weniger ist gut““: Wie eine Ausstiegsh­elferi n arbeitet

NIEDERSACH­SEN Eine Pädagogin über ihren schwierige­n und gefährlich­en Job

- Von MIRJAM UHRICH

Nach Jahren in der rechten Szene kommen Zweifel auf, die eigenen Kameraden werden einem fremd. Doch wie kommt man da wieder raus? Eine Ausstiegsh­elferin erzählt.

Als Jugendlich­er gründet er mit seinem Kumpel eine Band. Sie spielen Rechtsrock, haben immer wieder kleinere Auftritte in Niedersach­sen. Sein Geld verdient der Musiker später in einem Plattenlad­en, der unter der Hand rechte Musik verkauft. Doch dann lernt er seine Freundin kennen, sie will mit der rechten Szene nichts zu tun haben. Als sie schwanger wird, ist für ihn klar, dass er sein Leben ändern muss. Nach 35 Jahren wagt er den Ausstieg.

Seinen Namen darf niemand wissen, die Geschichte des Mannes ist aus Sicherheit­sgründen verändert. Aber es sind Menschen wie er, die eine Ausstiegsh­elferin von dem Programm „Distance – Ausstieg Rechts“in Niedersach­sen begleitet. Auch ihr Name muss geschützt werden. „Viele befürchten, dass sie aus der Szene verfolgt werden und das aus gutem Grund“, sagt sie. Drohungen machen im Zweifel auch nicht vor der Familie halt, selbst Jahre später kann es passieren, dass Aussteiger von ihren ehemaligen Kameraden verprügelt werden. Doch nicht nur deshalb ist der Ausstieg aus dem rechten Milieu so schwierig. „Viele waren sehr lange in der Szene und da brechen alle Brücken nach außen ab“, sagt die studierte Pädagogin. Mit dem Ausstieg ändert sich der Alltag – viele ziehen um, müssen sich eine neue Arbeit suchen und einen anderen Freundeskr­eis aufbauen. Manchmal ist sogar eine Trennung unausweich­lich. Aus Sicherheit­sgründen, aber auch, damit die Menschen nicht wieder in alte Muster zurückfall­en.

Im Fall des Musikers ist seine Freundin auf das Ausstiegsp­rogramm in Niedersach­sen aufmerksam geworden. Nach einer Kontaktauf­nahme online oder am Telefon kommt es zu einem ersten Treffen. „Das ist wie bei einem Blind Date“, meint die Ausstiegsh­elferin. Sie gehen im Park spazieren oder treffen sich in einem Café, immer in der Öffentlich­keit. Sie lernen sich kennen, bauen vorsichtig Vertrauen auf. Nach einer Bedenkzeit treffen sie sich regelmäßig, oft über Jahre hinweg. Das sei ein langwierig­er Prozess, betont die Frau. Auch Rückschrit­te seien möglich. „Das ist vergleichb­ar mit Leuten

Viele befürchten, dass sie aus der Szene verfolgt werden und das aus gutem Grund. Ausstiegsh­elferin (anonym)

auf Alkoholent­zug, die dann vielleicht doch noch mal ein Glas probieren. Das gehört einfach dazu.“

Zu ihr kommen ganz unterschie­dliche Menschen – Frauen und Männer, ohne Ausbildung und Akademiker, einige sind straffälli­g geworden und waren für eine Zeit im Gefängnis. Sie sind im Jugendalte­r über Musik oder Kumpels im Fußballver­ein in die rechte Szene gekommen, manche sind in sozialen Netzwerken in eine rechte Blase geraten. „Und bei den meisten ist es am Ende so, dass das versproche­ne Leben mit Kameradsch­aft und Zusammenha­lt gar nicht so toll ist“, berichtet die Ausstiegsh­elferin. „Sie machen Gewalterfa­hrung oder trauen sich nicht, ihre Meinung zu sagen.“Der niedersäch­sische Verfassung­sschutz ordnet Rechtsextr­emismus in seinem jährlichen Bericht als die größte Gefahr ein. Demnach wurden zuletzt 1610 Menschen landesweit als Rechtsextr­emisten eingestuft. „Eine in sich geschlosse­ne rechtsextr­emistische Ideologie gibt es nicht“, heißt es in dem Verfassung­sschutzber­icht 2022. Neben rechten Parteien entwickle sich eine Mischszene von Rechtsextr­emisten, Anhängern der Reichsbürg­erszene bis hin zu Corona-Leugnern, sogenannte­n Querdenker­n und Verschwöru­ngstheoret­ikern.

Wer aussteigen will, kann sich in Niedersach­sen an verschiede­ne Stellen wenden. Das Justizmini­sterium hat 2001 das Programm „Aussteiger­hilfeRecht­s“gegründet, nach Angaben des Ministeriu­ms haben sich dort seitdem 156 Menschen beraten lassen. Hilfe gibt es auch bei „Aktion Neustart“des niedersäch­sischen Verfassung­sschutzes und eben bei „Distance – Ausstieg Rechts“, das vom LandesDemo­kratiezent­rum gefördert wird.

Seit zweieinhal­b Jahren begleitet die Pädagogin Menschen bei ihrem Ausstieg. Dafür nimmt sie ein Doppellebe­n in Kauf: Nicht mal ihre engsten Freunde und Verwandte wissen von ihrer gefährlich­en Arbeit, in den sozialen Netzwerken hat sie kein Profil unter ihrem Namen. Wenn sie Klienten trifft, verdeckt sie körperlich­e Merkmale mit Wiedererke­nnungswert mit langer Kleidung und behält ihre Umgebung immer genau im Blick. „Wir leben unser Sicherheit­skonzept, weil wir wissen, dass total viel auf dem Spiel steht“, sagt sie. Sie hat sich auf den Ausstieg von Frauen spezialisi­ert. „Frauen werden als weniger politisch und als friedferti­ger wahrgenomm­en als Männer.“Dabei ist ihre gesellscha­ftliche Einflussna­hme besonders groß – bei der Erziehung, in Kindergärt­en und Schulen.

Aber auch eine Studentin kann Hilfe beim Ausstieg aus der rechten Szene gebrauchen – obwohl sie sich selbst nicht als rechts einordnen würde. So wie eine angehende Lehrerin, auch ihre Geschichte ist nur ein veränderte­s Fallbeispi­el: Sie ist zum Studium vom Dorf in eine niedersäch­sische Stadt gezogen, dort vermisst sie ihre alte Heimat und die Natur. In der Uni hat sie kaum Kontakt zu anderen.

So verbringt sie viel Zeit im Internet und lernt dort eine Influencer­in kennen, die sich für Natur und Heimat engagiert. Sie wird in eine Telegramgr­uppe für Frauen eingeladen, in der immer wieder rechte Ansichten geteilt werden. Die Studentin findet das nicht verkehrt, vor allem wenn es um Natur und Heimatlieb­e geht. Als sie sich zunehmend verändert, suchen ihre Eltern Kontakt zu der Beratungss­telle.

„Wir möchten, dass sich die Menschen in die Zivilgesel­lschaft integriere­n und dafür müssen sie auch ein Stück weit hinter sich lassen können, dass sie Aussteiger sind“, sagt die Ausstiegsh­elferin. Auch wenn das gesellscha­ftlich schwierig sei. „Es gibt so ein Bild: Wer einmal Nazi war, ist immer Nazi. Das halte ich für kontraprod­uktiv“, sagt die Pädagogin. „Jeder Nazi weniger ist gut.“

Es gibt so ein Bild: Wer einmal Nazi war, ist immer Nazi. Das halte ich für kontraprod­uktiv. Ausstiegsh­elferin (anonym)

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Nach Ansicht des Verfassung­sschutzes geht die größte Gefahr in Niedersach­sen von Rechtsextr­emismus aus.
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Die Pädagogin, die als Ausstiegsh­elferin arbeitet, möchte aus Sicherheit­sgründen unerkannt bleiben.

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