„Jeder Nazi weniger ist gut““: Wie eine Ausstiegshelferi n arbeitet
NIEDERSACHSEN Eine Pädagogin über ihren schwierigen und gefährlichen Job
Nach Jahren in der rechten Szene kommen Zweifel auf, die eigenen Kameraden werden einem fremd. Doch wie kommt man da wieder raus? Eine Ausstiegshelferin erzählt.
Als Jugendlicher gründet er mit seinem Kumpel eine Band. Sie spielen Rechtsrock, haben immer wieder kleinere Auftritte in Niedersachsen. Sein Geld verdient der Musiker später in einem Plattenladen, der unter der Hand rechte Musik verkauft. Doch dann lernt er seine Freundin kennen, sie will mit der rechten Szene nichts zu tun haben. Als sie schwanger wird, ist für ihn klar, dass er sein Leben ändern muss. Nach 35 Jahren wagt er den Ausstieg.
Seinen Namen darf niemand wissen, die Geschichte des Mannes ist aus Sicherheitsgründen verändert. Aber es sind Menschen wie er, die eine Ausstiegshelferin von dem Programm „Distance – Ausstieg Rechts“in Niedersachsen begleitet. Auch ihr Name muss geschützt werden. „Viele befürchten, dass sie aus der Szene verfolgt werden und das aus gutem Grund“, sagt sie. Drohungen machen im Zweifel auch nicht vor der Familie halt, selbst Jahre später kann es passieren, dass Aussteiger von ihren ehemaligen Kameraden verprügelt werden. Doch nicht nur deshalb ist der Ausstieg aus dem rechten Milieu so schwierig. „Viele waren sehr lange in der Szene und da brechen alle Brücken nach außen ab“, sagt die studierte Pädagogin. Mit dem Ausstieg ändert sich der Alltag – viele ziehen um, müssen sich eine neue Arbeit suchen und einen anderen Freundeskreis aufbauen. Manchmal ist sogar eine Trennung unausweichlich. Aus Sicherheitsgründen, aber auch, damit die Menschen nicht wieder in alte Muster zurückfallen.
Im Fall des Musikers ist seine Freundin auf das Ausstiegsprogramm in Niedersachsen aufmerksam geworden. Nach einer Kontaktaufnahme online oder am Telefon kommt es zu einem ersten Treffen. „Das ist wie bei einem Blind Date“, meint die Ausstiegshelferin. Sie gehen im Park spazieren oder treffen sich in einem Café, immer in der Öffentlichkeit. Sie lernen sich kennen, bauen vorsichtig Vertrauen auf. Nach einer Bedenkzeit treffen sie sich regelmäßig, oft über Jahre hinweg. Das sei ein langwieriger Prozess, betont die Frau. Auch Rückschritte seien möglich. „Das ist vergleichbar mit Leuten
Viele befürchten, dass sie aus der Szene verfolgt werden und das aus gutem Grund. Ausstiegshelferin (anonym)
auf Alkoholentzug, die dann vielleicht doch noch mal ein Glas probieren. Das gehört einfach dazu.“
Zu ihr kommen ganz unterschiedliche Menschen – Frauen und Männer, ohne Ausbildung und Akademiker, einige sind straffällig geworden und waren für eine Zeit im Gefängnis. Sie sind im Jugendalter über Musik oder Kumpels im Fußballverein in die rechte Szene gekommen, manche sind in sozialen Netzwerken in eine rechte Blase geraten. „Und bei den meisten ist es am Ende so, dass das versprochene Leben mit Kameradschaft und Zusammenhalt gar nicht so toll ist“, berichtet die Ausstiegshelferin. „Sie machen Gewalterfahrung oder trauen sich nicht, ihre Meinung zu sagen.“Der niedersächsische Verfassungsschutz ordnet Rechtsextremismus in seinem jährlichen Bericht als die größte Gefahr ein. Demnach wurden zuletzt 1610 Menschen landesweit als Rechtsextremisten eingestuft. „Eine in sich geschlossene rechtsextremistische Ideologie gibt es nicht“, heißt es in dem Verfassungsschutzbericht 2022. Neben rechten Parteien entwickle sich eine Mischszene von Rechtsextremisten, Anhängern der Reichsbürgerszene bis hin zu Corona-Leugnern, sogenannten Querdenkern und Verschwörungstheoretikern.
Wer aussteigen will, kann sich in Niedersachsen an verschiedene Stellen wenden. Das Justizministerium hat 2001 das Programm „AussteigerhilfeRechts“gegründet, nach Angaben des Ministeriums haben sich dort seitdem 156 Menschen beraten lassen. Hilfe gibt es auch bei „Aktion Neustart“des niedersächsischen Verfassungsschutzes und eben bei „Distance – Ausstieg Rechts“, das vom LandesDemokratiezentrum gefördert wird.
Seit zweieinhalb Jahren begleitet die Pädagogin Menschen bei ihrem Ausstieg. Dafür nimmt sie ein Doppelleben in Kauf: Nicht mal ihre engsten Freunde und Verwandte wissen von ihrer gefährlichen Arbeit, in den sozialen Netzwerken hat sie kein Profil unter ihrem Namen. Wenn sie Klienten trifft, verdeckt sie körperliche Merkmale mit Wiedererkennungswert mit langer Kleidung und behält ihre Umgebung immer genau im Blick. „Wir leben unser Sicherheitskonzept, weil wir wissen, dass total viel auf dem Spiel steht“, sagt sie. Sie hat sich auf den Ausstieg von Frauen spezialisiert. „Frauen werden als weniger politisch und als friedfertiger wahrgenommen als Männer.“Dabei ist ihre gesellschaftliche Einflussnahme besonders groß – bei der Erziehung, in Kindergärten und Schulen.
Aber auch eine Studentin kann Hilfe beim Ausstieg aus der rechten Szene gebrauchen – obwohl sie sich selbst nicht als rechts einordnen würde. So wie eine angehende Lehrerin, auch ihre Geschichte ist nur ein verändertes Fallbeispiel: Sie ist zum Studium vom Dorf in eine niedersächsische Stadt gezogen, dort vermisst sie ihre alte Heimat und die Natur. In der Uni hat sie kaum Kontakt zu anderen.
So verbringt sie viel Zeit im Internet und lernt dort eine Influencerin kennen, die sich für Natur und Heimat engagiert. Sie wird in eine Telegramgruppe für Frauen eingeladen, in der immer wieder rechte Ansichten geteilt werden. Die Studentin findet das nicht verkehrt, vor allem wenn es um Natur und Heimatliebe geht. Als sie sich zunehmend verändert, suchen ihre Eltern Kontakt zu der Beratungsstelle.
„Wir möchten, dass sich die Menschen in die Zivilgesellschaft integrieren und dafür müssen sie auch ein Stück weit hinter sich lassen können, dass sie Aussteiger sind“, sagt die Ausstiegshelferin. Auch wenn das gesellschaftlich schwierig sei. „Es gibt so ein Bild: Wer einmal Nazi war, ist immer Nazi. Das halte ich für kontraproduktiv“, sagt die Pädagogin. „Jeder Nazi weniger ist gut.“
Es gibt so ein Bild: Wer einmal Nazi war, ist immer Nazi. Das halte ich für kontraproduktiv. Ausstiegshelferin (anonym)