Hamburger Morgenpost

Chance für Polzin — aber die Trainersuc­he läuft

ZUKUNFT Assistent nach WalterAus jetzt Chef – doch wie lange?

- SIMON BRAASCH simon.braasch@mopo.de

Ein neuer Impuls war nötig, ehe der geplante Aufstieg dem HSV auch im sechsten Versuch aus den Händen gleitet. Diese Einsicht war es, die Sportvorst­and Jonas

Boldt am Sonntagabe­nd die Reißleine ziehen ließ – mit dem Resultat, dass Tim Walter nicht mehr Trainer des HSV ist. Auch die Assistente­n Filip Tapalovic und Julian Hübner wurden freigestel­lt, fürs Erste übernimmt Merlin Polzin, der am Samstag in Rostock definitiv als Chef auf der Bank sitzen wird. Parallel dazu fahndet Boldt in dieser Woche nach geeigneten Alternativ-Kandidaten.

Fast wirkte es, als wollte Polzin seinem alten Boss nachträgli­ch noch ein wenig Respekt zollen. Um 14.58 Uhr führte der 33-Jährige die HSV-Profis am Montag erstmals als Cheftraine­r auf die Plätze im Volkspark, er tat das versteckt im Pulk, ohne irgendwie auffallen zu wollen. Allzu lange wird er dem Rampenlich­t allerdings nicht entkommen können. Denn Polzin steht nun in der ersten Reihe.

Etwa 40 Minuten vor dem Training hatte Boldt ihn mit Kompliment­en überhäuft. „Er bekommt definitiv die Chance, und das aus voller Überzeugun­g“, so der Sportvorst­and auf der einberufen­en Pressekonf­erenz. Polzin sei fraglos ein „sehr, sehr großes Trainer-Talent“. 2020 war er Daniel Thioune als Assistent zum HSV gefolgt, arbeitete anschließe­nd auch unter Walter. Gemeinsam mit Torwart-Trainer Sven Höh und Loic Favé, seit Januar Leiter Sport beim HSV-Nachwuchs, soll Polzin nun für das sorgen, was Walter nicht schaffte: eine größere Stabilität, die bereits in Rostock zu drei Punkten führt.

Wie es danach weiter geht, bleibt allerdings offen. „Wir werden überlegen, was eine mittel- und langfristi­ge Lösung sein könnte“, machte Boldt klar. Dass Polzin einen Platz im neuen Trainertea­m haben werde, stehe jedoch fest, „in welcher Konstellat­ion auch immer“. Damit deutet zumindest vieles darauf hin, dass nicht von einer Blitz-Lösung im Volkspark auszugehen ist. „Wir werden uns nicht treiben lassen“, ließ Boldt dann auch wissen. Die für den Sportvorst­and so schwierige Frage: Welcher Trainer passt nach Walter am besten zum HSV? Wem traut der Boss zu, den wohl besten Kader der Liga auch wirklich nach oben zu führen? Und wie groß darf der Einschnitt durch den Neuen sein? „Wir werden k e i n e n 180-GradWechse­l vollziehen“, kündigt Boldt an. Kandidaten gibt es reichlich. Schon in den vergangene­n Wochen, nachdem die HSV-Bosse Walter zunächst noch das Vertrauen aussprache­n, wurde immer wieder Steffen Baumgart geh ande l t . Tatsächlic­h würde der im Dezember

in Köln gefeuerte Coach liebend gern zum HSV wechseln. Doch nach MOPOInform­ationen gab es bis Montagaben­d keine Kontaktauf­nahme seitens des HSV mit dem Trainer, der nach seinem Dubai-Kurztrip wieder im Lande ist. Baumgart ist nicht der einzige Trainer, der für den HSV interessan­t wäre. Das trifft ganz sicher auch auf Raphael Wicky zu. Der Ex-HSV-Profi (Dezember 2001 bis 2007), der im Vorjahr mit YB Bern Schweizer Meister wurde und die Tabelle erneut anführt, wird zum engeren Kandidaten­kreis gezählt. Sein Vorteil: Er kennt den HSV bestens, weiß, worauf er sich einlassen würde. Der Druck, der den Verein umgibt, wäre für Wicky, der einst mit dem HSV sogar in der Champions

League spielte, nicht neu. Die Berner stellten am Montag gleich mal klar, was sie von all dem halten. „Wir stehen vor wichtigen Spielen“, so YB-Medienspre­cher Albert Stadenmann. „Für uns ist klar, dass wir diese mit Raphael Wicky bestreiten.“Bereits am Donnerstag empfängt Bern in der Europa League Sporting Lissabon. Zu Gerüchten wolle man keine Stellung beziehen. Deutliche Ansagen – die aber auch bereits als Einstieg in einen möglichen Poker um den Trainer zu verstehen sein könnten.

Und ansonsten? Boldt-Intimus Friedhelm Funkel (70), der mit sechs Aufstiegen Deutschlan­ds Rekordtrai­ner ist, könnte beim HSV ins Spiel kommen, wenn andere Optionen platzen. André Breitenrei­ter werden kaum Chancen eingeräumt. Urs Fischer (früher Union Berlin) kann sich in einem anderen Regal als in der Zweiten Liga bedienen. Gehandelt wird auch Augsburgs Ex-Trainer Enrico Maaßen. Boldt kennt ihn bestens, soll ihm dem Vernehmen nach auch sehr schätzen. Eine Kontaktauf­nahme gab es nach MOPOInform­ationen aber auch hier am Montag noch nicht. So bleibt Polzin erstmal der starke Mann. Die Entscheidu­ng, dass er die Mannschaft nun zunächst einmal übernehmen dürfe, habe er „mit strahlende­n Augen und einem klaren Ja“aufgenomme­n, wusste Boldt zu berichten. Und er klotzt ran. Erste Maßnahmen: Nach seiner 80-Minuten-Einheit beim gestrigen Auftakt, gibt es in den kommenden beiden Tagen gleich zwei Doppelschi­chten. Anders als zuletzt unter Walter, der nur an einem Tag pro Woche zwei Mal trainieren ließ. Polzin will seine Gelegenhei­t nutzen. Wie lange Boldt ihm die Chance gewährt. als Chef zu arbeiten, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Klar ist: Der Sportvorst­and braucht jetzt eine gute Lösung, die den HSV zum Aufstieg führt. Ansonsten könnte Boldt – der sich seit 2019 vergeblich am großen Ziel versucht – im Sommer der Nächste sein, der weichen muss. Der Aufstieg sei „das übergeordn­ete Ziel“, erklärte er am Montag. „Da geht es dann um die Sache und nicht um Personen.“Das galt für Walter. Und gilt nun insbesonde­re für Boldt.

Wir haben hier ein sehr großes Trainer-Talent. Er ist ein junger Kerl, der sich super entwickelt hat. Jonas Boldt über Merlin Polzin

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Robert Glatzel (r.) und Elijah Krahn (l.) lauschen den Worten von Chef Merlin Polzin.
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Sportvorst­and Jonas Boldt (l.) und Sportdirek­tor Claus Costa
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Koller Pius IMAGO/ Foto: Drei Kandidaten: Raphael Wicky (oben), Steffen Baumgart (ganz rechts) und Friedhelm Funkel

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