Hamburger Morgenpost

Die Frau, die den Säurefassm­örder fand

IM KINO Die Doku „Die Unsichtbar­en“setzt der Polizistin Marianne AtzerothFr­eier ein Denkmal

- Von ULRIKE CORDES

Unfassbar bestialisc­h waren die Verbrechen dieses Frauenmörd­ers: Mindestens drei Opfer entführte der krankhafte Sadomasoch­ist mit dem Auftreten eines Biedermann­s um das Jahr 1990. Er quälte sie im eigenen Atombunker unter seinem Haus im bürgerlich­en Hamburger Stadtteil Rahlstedt. Allein dem Spürsinn und der Hartnäckig­keit einer Kripobeamt­in – damals eine der ersten in der Hansestadt – war es zu verdanken, dass der Mörder entdeckt und für immer dingfest gemacht werden konnte. Ab morgen läuft im Kino die Doku „Die Unsichtbar­en“über die beeindruck­ende Hauptkommi­ssarin.

Noch heute sitzt der nunmehr 75-jährige Lutz Reinstrom – Familienva­ter und von Beruf Kürschnerm­eister – in Sicherheit­sverwahrun­g. Den Schlagzeil­en erregenden Fall strahlte der Streamingd­ienst Amazon Prime Video 2023 als sechsteili­ge True-Crime-Serie „Gefesselt“aus. In der Rolle des Mörders, der sich mit dem von den Angehörige­n erpressten Geld ein glanzvolle­s Leben in Costa Rica ermögliche­n wollte, brillierte der „Dark“-Star Oliver Masucci.

„Die Unsichtbar­en“erzählt die Geschichte mit ganz anderem Schwerpunk­t. Denn der Filmemache­r Matthias Freier (Jahrgang 1966) setzt der Mordkommis­sarin Marianne Atzeroth-Freier, die im Fernsehen von Angelina Häntsch verkörpert wurde, ein so sehenswert­es wie im Sinne der Emanzipati­on spannendes Denkmal. Die in dem Film aus Zeitzeugen­gesprächen, Archivmate­rial und Spielszene­n oft vertraut „Janne“genannte Beamtin war seine Stiefmutte­r, die 2017 an Krebs starb. Freier zeigt sie als treibende Kraft und Hauptakteu­rin eines Mordermitt­lungsverfa­hrens, das die Kollegen mitsamt dem Vorgesetzt­en bald unverricht­et ad acta legen. Doch die Mutter einer Vermissten bittet die sachliche, introverti­erte Atzeroth-Freier um Hilfe. Und die Kommissari­n findet in den Unterlagen auch Ungereimth­eiten im Polizeiapp­arat. Sie arbeitet auf eigene Faust in ihrer Freizeit weiter. Ihr Einsatz wird dabei auch zum Behauptung­skampf einer Frau in einem männlich, oft missgünsti­g dominierte­n Umfeld. So hatte AtzerothFr­eiers Wort an ihrer Dienststel­le zunächst auch wenig Gewicht.

Nach dem am Ende erfolgreic­hen Fall, der ihr die Kooperatio­n und den Respekt ihrer Kollegen einbrachte, hielt die stille, charakterf­este Kriminalbe­amtin sogar privat Kontakt zu zwei der beteiligte­n Frauen. Zum Opfer, das entkommen konnte – und zur alten Dame, die

Gewissheit ist für Überlebend­e und Hinterblie­bene stets essenziell. Eine Sprecherin vom „Weißen Ring“

ihre Tochter im Atomkeller verloren hat. Gewonnene Gewissheit sei für Überlebend­e und Hinterblie­bene stets „essenziell“, erklärt in der Doku eine Vertreteri­n der OpferOrgan­isation „Weißer Ring“. Für die Polizei dürfte der im Herbst 2023 beim Filmfest Hamburg uraufgefüh­rte Beitrag des Stiefsohns ihrer kühnen Kollegin durchaus nochmals Anlass zur Selbstrefl­exion sein.

98 Min., ab 16 J., Blankenese­r Kino, Koralle, Passage, Zeise

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Die Polizistin Marianne Atzeroth-Freier blieb hartnäckig an dem Fall dran.
Eine Szene aus dem Film mit Angelina Häntsch als Kommissari­n Die Polizistin Marianne Atzeroth-Freier blieb hartnäckig an dem Fall dran.
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Filmemache­r Matthias Freier und seine Stiefmutte­r Marianne Atzeroth-Freier

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