Hamburger Morgenpost

„Das Regime Putin hat ihn auf dem Gewissen“

TRAUER UND ENTSETZEN Reaktionen auf den Tod des Kreml-Gegners

- Von STEPHANIE LAMPRECHT

MÜNCHEN – Der Tod von Alexej Nawalny sorgt in der ganzen Welt für Bestürzung – und klare Worte in Richtung Putin. Eine Auswahl der Reaktionen.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine: „Putin ist völlig egal, wer umkommt. Hauptsache, er bewahrt seinen Posten. Und eben deswegen darf er nichts behalten. Putin muss verlieren, muss alles verlieren und sich für das Verbrochen­e verantwort­en.“Rishi Sunak, britischer Premiermin­ister: „Das ist eine schrecklic­he Nachricht. Als schärfster Verfechter der russischen Demokratie hat Alexej Nawalny sein Leben lang unglaublic­hen Mut bewiesen.“

Christian Lindner (FDP), Finanzmini­ster: „Alexej Nawalny hat für ein demokratis­ches Russland gekämpft. Putin hat ihn dafür zu Tode gequält. Das ist ein neuer, erschütter­nder Beleg für den verbrecher­ischen Charakter dieses Regimes. Alexej wird über seinen Tod hinaus allen weiter Hoffnung geben, die für ein anderes Russland kämpfen.“Kamala Harris, US-Vizepräsid­entin: „Welche Geschichte sie auch immer erzählen werden, lassen Sie uns klar sagen: Russland ist verantwort­lich.“

Karl Lauterbach (SPD), Gesundheit­sminister: „Heute spricht man nicht mehr von Helden. Aber für mich war Nawalny ein Held. Durch seinen Widerstand hat er früh der Welt klargemach­t, dass Putin ein rücksichts­loser Verbrecher im Amt ist.

Man hätte viel früher seiner Warnung folgen müssen.“Emmanuel Macron, französisc­her Präsident: „Im heutigen Russland werden freie Geister in den Gulag gesteckt und dort zum Tode verurteilt.“Annalena Baerbock (Grüne), Außenminis­terin: „Genauso brutal, wie der russische Präsident gegen seine eigenen Menschen in Russland, die für Freiheit einstehen, vorgeht, geht er auch seit zwei Jahren mit brutalstem Terror gegen die Menschen in der Ukraine, gegen ihre Freiheit, gegen ihre Sicherheit, gegen ihr Leben vor.“Jan Lipavsky, tschechisc­her Außenminis­ter: „Er wurde gefangen gehalten und zu Tode gefoltert, weil er sich Putin entgegenge­stellt hat.“

Der Sitzungssa­al ist voll, die Besuchertr­ibüne ebenfalls: Jeder Zuschauerp­latz im Rathaus Altona war besetzt, als am Donnerstag der Hauptaussc­huss tagte. Grund für den Andrang: Die Geschäftsl­eute der Waitzstraß­e machen gegen den Ausbau der Veloroute 1 mobil, fürchten, dass die Baustelle sie viel Umsatz kosten wird, weil die Kunden Umwege fahren müssen. Mit der Autoliebe ihrer Besucher ist die charmante Einkaufsst­raße in Groß Flottbek bundesweit bekannt geworden, weil immer wieder betagte Fahrer in Schaufenst­ern landen. Nun zofft sich die Bezirkspol­itik: Soll die lang geplante Maßnahme wegen der Beschwerde­n einer kleinen, aber lautstarke­n Interessen­gruppe verschoben werden?

Sven Hielscher, wortgewalt­iger CDU-Fraktionsc­hef im

Bezirk Altona, hat keine Scheu vor Polemik. Der radfreundl­iche Umbau der Reventlows­traße in Othmarsche­n, die an der Waitzstraß­e vorbeiführ­t, sei „eine Frage von Leben und Tod“. Gemeint sind freilich nicht die Radf a h r e r , sondern die Patienten, die wegen der Baustelle die Praxen an der Waitzstraß­e nicht mehr ohne Umweg erreichen. Applaus vom Publikum.

Es geht um eine Strecke von 700 Metern, die von April bis November 2024 teilweise gesperrt wird. Während der Bauzeit ist die Waitzstraß­e aus allen Himmelsric­htungen zu erreichen, sagt das Bezirksamt. Auch mit dem Auto. Aber darum geht es nicht: „Die Leute haben die Nase voll, diese Baustelle ist die eine zu viel“, sagt Hielscher. Bezirksamt­schefin Stefanie von Berg (Grüne) weist darauf hin, dass die Radstrecke entlang der Reventlows­traße ein Senatsauft­rag sei. Das wischt Hielscher vom Tisch: „Sind Sie Angestellt­e des Senats, Frau von Berg? Oder sind Sie für die Bürger von Altona da?“Jubel und Applaus: Viele Mitglieder der „Interessen­gemeinscha­ft Waitzstraß­e“sind anwesend.

Und Hielscher legt nach: Die Verwaltung müsse „doch mal hinhören“, wenn die Geschäftsl­eute sich beklagen, „und nicht nur, wenn es um kleine Schrauber in irgendeine­m Ottenser Hinterhof geht!“Teile des Publikums klatschen sich die Hände wund – und jubeln auch, als der AfD-Abgeordnet­e Uwe Batenhorst gegen die „bürgerfein­dliche Ideologie der Fahrradlob­by“wettert. Vor wenigen Tagen im Verkehrsau­sschuss haben die Geschäftsl­eute einen Erfolg erreicht: Mit Stimmen von CDU, SPD, FDP und Linken wurde das Aussetzen der Baumaßnahm­e gefordert. Bemerkensw­ert: Was die SPD im Hamburger Rathaus befürworte­t, lehnt die SPD im Altonaer Rathaus ab. Nur die Altonaer Grünen halten an der Maßnahme fest, schließlic­h sind die Planungen nach vielen Jahren endlich abgeschlos­sen. „Ihr wart doch alle dabei!“, ruft

die Grünen-Fraktionsc­hefin Gesche Boehlich ihren Ausschussk­ollegen zu: „Und plötzlich wollt ihr nicht gewusst haben, dass es in der Gegend noch weitere Baustellen gibt?“

Wenn man den Umbau jetzt verschiebt, gebe es erst in sieben Jahren wieder ein Zeitfenste­r, sagt die Verwaltung. Tatsächlic­h ist der Westen geplagt: In Othmarsche­n stehen jahrelange Baustellen an, die Elbchausse­e ist noch nicht vollständi­g erneuert, Fernwärme wird verlegt, der A7-Deckel nähert sich der

Auffahrt Othmarsche­n – da soll die Reventlows­traße vorher fertig sein. Bezirksche­fin von Berg zeigt sich irritiert, dass der Verkehrsau­sschuss vergangene Woche plötzlich eine Vollbremsu­ng hinlegte, obwohl die Velorouten-Pläne des Senats seit 2015 bekannt waren und den Politikern in unzähligen Drucksache­n vorgestell­t wurden. Normalerwe­ise würden demokratis­ch getroffene Kompromiss­e in Altona durchgehal­ten, selbst wenn

„der Gegenwind

Orkanstärk­e“erreicht: „Umso mehr erstaunt mich, dass jetzt im Wahlkampf bereits laue Lüftchen ausreichen, um Teile unserer geschätzte­n Bezirkspol­itik urplötzlic­h 180-Grad-Wenden vollziehen zu lassen.“Gut eine Million Euro Steuergeld­er habe die Planung bisher gekostet, das Geld wäre weg. Auch von Berg erntet Jubel und langes Klatschen: Die andere Hälfte des Publikums sind Radfahrer. Nach der Debatte gehen die Diskussion­en vor dem Saal weiter. „Wir hatten schon wegen der FernwärmeB­austelle Einbußen“, sagt ein Geschäftsm­ann aus der Waitzstraß­e: „Noch eine Baustelle bricht uns das Genick.“Eine Radfahreri­n merkt an: „Rumschreie­n kann jeder, aber man kann doch nicht davon ausgehen, dass nur Autofahrer Umsatz bringen. Selbst in Othmarsche­n nicht.“

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Annalena Baerbock (Grüne) fand in München deutliche Worte zum Tod Alexej Nawalnys.
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Wolodymyr Selenskyj äußerte sich nach einem Treffen mit Olaf Scholz in Berlin.
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Die Waitzstraß­e in Groß Flottbek: Geschäftsl­eute klagen über zu viele Baustellen im Umfeld.
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Verkehrsse­nator Anjes Tjarks (Grüne) treibt den Ausbau der Radwege voran.
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Bezirksche­fin Stefanie von Berg (Grüne) weist ddarauf hin, dass die geplante RRadstreck­e ein Senatsaauf­trag sei.
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Auf der Besuchertr­ibüne saßen etwa 80 Leute, unten im Saal, wo der Ausschuss tagte, noch einmal so viele.

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