Hamburger Morgenpost

Totentanz an der Sternbrück­e

ALTONA-ALTSTADT Epizentrum für Clubkultur wird abgerissen. Ein Abschieds-Rundgang

- Von ELIAS LÜBBE und FLORIAN QUANDT

Die Sternbrück­e war ein zentraler Ort der Hamburger Clubkultur – die Szeneläden „Astra Stube“, „Bar 227“, „Fundbureau“, „Beat Boutique“und „Waagenbau“hatten hier ihre Heimat. Doch das ist nun alles Geschichte: Weil die Eisenbahnb­rücke bald abgerissen wird, mussten die Clubs raus. Übrig geblieben sind karge Gewölbe mit einem besonderen Charme.

Ein Besuch in einem der

Sternbrück­en-Clubs war wie eine Flucht in eine andere Welt. Draußen der kalte Großstadtw­inter, drinnen umhüllten einen die warmen, tiefen Bässe der Nacht. Über einem rauschten die Züge entlang, während man unten das Gefühl von Raum und Zeit verlor.

Heute ist das Club-Ensemble wohl der jüngste „Lost Place“Hamburgs. Die letzten Partys an der Max-Brauer-Allee, Ecke Stresemann­straße fanden Silvester statt. Wenn man durch das leergeräum­te „Fundbureau“geht, ist es kaum vorstellba­r, dass es vor zwei Monaten noch ein Raum voller Leben war. Es ist kalt, es riecht muffig, verschimme­lt. Eine tote Spinne hängt an der Wand. Man steigt über zertretene Bierdosen, eine leere Zigaretten­schachtel liegt daneben.

Etwa 900 Regional- und Fernverkeh­rszüge sowie SBahnen fahren täglich über die Brücke. Jedes Mal füllt ein ohrenbetäu­bender Lärm die Gewölbe. Ein massives Pendel gleicht die Schwingung­en aus, die durch die Züge entstehen.

Das „Fundbureau“bekam seinen Namen, weil sich dort bis in die 1990er Jahre das Fundbüro der Bundesbahn befand. Heute erinnert ein in den Boden gelassener Tresor an diese Zeit. Was sich darin befindet – ein Geheimnis, das vielleicht niemals gelüftet wird: Der Schlüssel ging im Laufe der Zeit verloren.

Die Frage, welche Schätze sich in dem Tresor befinden, wird sich bald aber sowieso nicht mehr stellen: Die knapp 100 Jahre alte Eisenbahnb­rücke und die umliegende­n Gebäude werden abgerissen, weil eine neue gebaut werden soll. Die Sternbrück­en-Clubs verlieren somit ihre Heimat – und Hamburg einen wichtigen Kultur-Standort. Kleine Bands bekamen hier seit mehr als 20 Jahren eine Bühne. Abseits der schrillen Reeperbahn war es ein rauer Ort, der ein wenig den Charme von Berlin versprühte.

Der Abriss der Eisenbahnb­rücke sorgte in der Vergangenh­eit immer wieder für Ärger. Kritiker halten das Projekt für überdimens­ioniert – immerhin soll die Brücke mit 26 Metern bis zu

Für viele war das wie ein zweites Wohnzimmer. Luna Twiesselma­nn vom „Fundbureau“

viermal höher als ihre Vorgängeri­n werden.

Eine Initiative versucht, den Neubau zu verhindern – und will klagen (mehr zu dem Thema auf Seite 9). Die Aussicht auf Erfolg ist dabei äußerst gering. In der vergangene­n Woche starteten die ersten Arbeiten für den Abriss. Auch rund 40 der insgesamt 86 Bäume entlang des Bahndamms sollen recht bald gefällt werden. Das neue Bauwerk soll in etwa drei Jahren stehen.

Die Clubs sollten eigentlich in einem „Kulturhaus“um die Ecke unterkomme­n – doch der Bau wurde immer wieder verschoben, die Zeit drängte. Deswegen wurde eine vorübergeh­ende Lösung gefunden: Die „Beat Boutique“und das „Fundbureau“ziehen in die Kasematten an den Deichtorha­llen in der Nähe des Hauptbahnh­ofs. Dort sollen sie für erst mal zwei Jahre bleiben, danach ziehen sie in andere Gewölbe ganz in der Nähe. Die Eröffnung ist im April geplant.

 ?? ?? 2003 eröffnete der „Waagenbau“– unzählige Partys fanden hier statt.
2003 eröffnete der „Waagenbau“– unzählige Partys fanden hier statt.
 ?? ?? Wilde Nächte wurden im „Fundbureau“gefeiert – hier die bunten Wände der Clubtoilet­te.
Das „Fundbureau“ist ganz schön verwinkelt.
Wilde Nächte wurden im „Fundbureau“gefeiert – hier die bunten Wände der Clubtoilet­te. Das „Fundbureau“ist ganz schön verwinkelt.
 ?? ??
 ?? ?? Der Schlüssel zu dem Tresor im Boden des „Fundbureau­s“ging im Laufe der Zeit verloren.
Kopf aus und rein in die Nacht: Der „Waagenbau“war über Jahrzehnte nicht nur bei Techno-Fans beliebt (Archiv).
Der Schlüssel zu dem Tresor im Boden des „Fundbureau­s“ging im Laufe der Zeit verloren. Kopf aus und rein in die Nacht: Der „Waagenbau“war über Jahrzehnte nicht nur bei Techno-Fans beliebt (Archiv).
 ?? ??
 ?? ?? Die Wände des „Fundbureau­s“sind mit Graffiti besprüht.
Die Wände des „Fundbureau­s“sind mit Graffiti besprüht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany