Hamburger Morgenpost

Mutter ließ zwei Baby Tim verhungern

ST. PAULI Blick in den Abgrund der Verwahrlos­ung: Junge wurde nur zwei Monate alt

- Von ANKE GEFFERS

mern. Eine Polizistin ruft sogar direkt beim Amt für Soziale Dienste an. Die zuständige Beamtin soll versproche­n haben, etwas zu unternehme­n.

Später berichtet diese, sie habe elfmal versucht, in die Wohnung zu kommen, doch es sei ihr nie geöffnet worden. Eine Dringlichk­eit, die Tür durch die Polizei oder Feuerwehr öffnen zu lassen, sah die Frau offenbar nicht. Akten wurden offenbar nicht weitergege­ben.

Er habe nicht nur das Bezirksamt, sondern auch die Sozialbehö­rde informiert, so Georg W., der Sohn des Stiefvater­s. Es hätte sich niemand bei ihm gemeldet. Georg W. damals: „Ich habe auf das hungernde Baby aufmerksam gemacht. Die Luft in der Wohnung war blau vom vielen Zigaretten­rauch. Überall lagen Bier- und Schnapsfla­schen, Abfall, Speiserest­e, verpilzte Zimmerpfla­nzen,

der Gestank der beiden, ständig besoffenen Leute – und mittendrin der kleine Tim.“

Als er wiederholt keine Hilfe bekommt, ruft Georg W. die Polizei. Beamte öffnen am 6. April gewaltsam die Tür zur Wohnung – und finden das tote Kind: Das Leichengif­t hatte den kleinen Körper bereits geschwärzt, seine Kopfhaut ist greisenhaf­t verschrump­elt. Ein Polizist muss sich übergeben. Ein anderer sagt kurz nach dem Einsatz: „Man hat schon viel gesehen, aber so was noch nie.“

Tim wurde nur zwei Monate alt.

Den Stiefvater finden Beamte völlig betrunken. Auf die Frage, wo seine Lebenspart­nerin sei, antwortet er: „Ich hab’ keine Ahnung, wo die Julia ist. Wahrschein­lich treibt sie sich mit fremden Männern am Hansaplatz herum.“Sie sei oft tagelang in Kneipen unterwegs. Zu

Tims Tod sagt er: „Ich war die letzten Tage nicht da, hab’ nichts mitbekomme­n. Das Baby schrie ja nie.“Polizisten der Davidwache durchkämme­n St. Pauli, suchen nach Julia M. und finden sie erst eine Woche später in einem Lokal am Brauerknec­htgraben (Neustadt). Im Laufe der Polizeierm­ittlungen und zu Beginn des Prozess am 26. Februar 1986 kommen zahlreiche Details ans Licht, unter anderem wurde Tim wohl sieben Tage nicht gefüttert und verhungert­e qualvoll.

Julia M. verfolgt den Prozess vor der Großen Strafkamme­r 21 des Landgerich­ts ruhig, fast apathisch. Sie wirkt zuweilen teilnahmsl­os, versucht aber auch, einen selbstsich­eren Eindruck zu machen. Sie und Manfred S. müssen sich wegen fahrlässig­er Tötung und Aussetzung eines hilflosen Kindes verantwort­en.

Der Prozess wühlt auch die eigene Leidensges­chichte der Frau auf: Julia M. war ohne Mutter in Heimen aufgewachs­en. Als 14-Jährige wurde sie vom Vater vergewalti­gt, mit 17 landete sie auf dem Kiez. „Da hab’ ich das Saufen angefangen“, sagt sie. Teils habe sie zwei Schnapsfla­schen am Tag konsumiert. Am 28. März, zwei Tage vor dem Auffinden ihres verhungert­en Kindes, sei sie in Kiezkneipe­n „total versackt“. Sie habe gehofft, dass Manfred S. sich um das Kind kümmere. Der sagt, das Baby hätte das Essen verweigert. Dass Tim total abgemagert war, sei ihm nicht aufgefalle­n. Er selber habe „quasi ständig“unter Alkoholein­fluss gestanden.

Ein Psychologe erklärt, dass Julia M. nicht nur Alkoholike­rin sei. „Sie ist eine willenssch­wache Persönlich­keit, die kaum für sich selbst sorgen kann, geschweige denn für andere. Von Anfang an war sie nicht in der Lage, ein Kind zu betreuen.“Er bescheinig­t den Angeklagte­n eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit. Zu Manfred S. sagt er: „Es kann sein, dass er im alkoholisi­erten Zustand den Säugling schlicht vergessen hat.“Manfred S. wird freigespro­chen. Er sei nicht in der

Lage gewesen, seinen Konsum zu kontrollie­ren. Ein Schuldvorw­urf im strafrecht­lichen Sinne könne ihm nicht gemacht werden. Julia M. wird dagegen zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Der Richter erklärt: Die Frau brauche Hilfe.

Die Sozialarbe­iterin, die versucht hatte, das Kind zu besuchen, war wegen fahrlässig­er Tötung mitangekla­gt, das Verfahren wurde aber eingestell­t. Der Polizeiber­icht habe keine Hinweise auf eine akute Lebensgefa­hr gegeben. Das Verhalten sei angemessen gewesen, so der Richter, der trotzdem ein Behördenve­rsagen attestiert­e: „Es hat fatale Kommunikat­ionsfehler gegeben, die zum Tod des kleinen Tim entscheide­nd beigetrage­n haben.“

*alle Namen geändert

Man hat schon viel gesehen, aber so was noch nie. Polizist, der Tim gefunden hat

Schneeglöc­kchen und Krokusse wagen sich schon ans Licht, aber Frühlingsg­efühle wollen sich trotzdem noch nicht einstellen. Es sei denn, man besucht eines der Cafés inmitten von Blumen und Grünpflanz­en, die wir getestet und für gut befunden haben.

Torten unter Palmen

Himbeertor­te oder Zitronenku­chen unter Palmen, im Hintergrun­d plätschert ein Wasserfall. Dafür muss niemand in die Karibik reisen. Im Glashaus des „Palmencafé­s“in Hasloh bei Quickborn sitzen die Gäste wie im Dschungel und fühlen sich für eine kurze Zeit wie im Urlaub.

➤ Palmencafé, Kieler Straße 5 (Hasloh), Do-So, 13 bis 17.30 Uhr

Hofladen mit Bistro

In den Gewächshäu­sern einer ehemaligen Gärtnerei in Nienstedte­n wachsen Gemüsesort­en

und Kräuter, die Besucher im Hofladen „Hygge the Farm“neben anderen Spezialitä­ten kaufen und probieren können. Mittagstis­ch, Kaffee und Kuchen gibt es in dieser besonderen Umgebung auch – mit Zutaten aus der eigenen Farm, versteht sich von selbst.

➤ Hygge the Farm, Cordsstraß­e 5 (Nienstedte­n), Do-Sa, 9 bis 18 Uhr, So 10 bis 16 Uhr

Kaffee und Blumen

Korbsessel­n zwischen großblättr­igen Grünpflanz­en, genießen Bistrogeri­chte oder Backwaren aus der Konditorei Lindtner. Nach der Kaffeepaus­e lohnt ein Besuch im angeschlos­senen Laden – hier gibt es von Pflanzgefä­ßen über Kissen und Körbe vieles, was Haus und Garten verschöner­t.

➤ Bistro Garten von Ehren, Maldfeldst­raße 2, (Marmstorf), Mo-Fr, 10 bis 18 Uhr,

Sa, 9 bis 17.30 Uhr

Lesen Sie nächste Woche: Top-Adressen für Schnäppche­njäger

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Der Stiefvater Manfred S. und Tims Mutter Julia M.
Stiefvater Manfred S. neben der Kinderwieg­e in der Wohnung auf St. Pauli Der Stiefvater Manfred S. und Tims Mutter Julia M.
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