Hamburger Morgenpost

Hunderte Festnahmen bei Nawalny-Gedenken

TRAUER IST TABU Staat geht rigoros vor – Leichnam des Kreml-Gegners unter Verschluss

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MOSKAU – „Für den Triumph des Bösen braucht es nichts weiter, als dass die Guten untätig bleiben. Also seid nicht passiv“, das hat Alexej Nawalny als Botschaft hinterlass­en. Weltweit und auch in Russland sind nach seinem Tod Tausende nicht passiv geblieben, haben mit Blumen, Bildern und Botschafte­n ihre Trauer gezeigt. Doch wer das im Putin-Staat tut, ist in Gefahr: Mehr als 400 Menschen wurden verhaftet.

„Wie groß doch die Angst des Machtappar­ates vor einem Toten ist, wenn sogar das Ablegen von Blumen zu seinem Andenken als Verbrechen angesehen wird“, schrieb der russische Friedensno­belpreistr­äger und Gründer der kremlkriti­schen Zeitung „Nowaja Gaseta“, Dmitri Muratow. Nawalnys Mutter ist derweil an den Polarkreis gereist, sie möchte sich von ihrem toten Sohn wenigstens verabschie­den. Was man ihr verweigert, es gibt nicht einmal eine Mitteilung, wo er sich befindet. Die „Nowaja Gaseta“schreibt, dass der Leichnam im Bezirkskra­nkenhaus der Stadt Salechard aufbewahrt werde. Der Körper des Toten soll laut einem Informante­n blaue Flecken aufweisen. Salechard ist die Hauptstadt des autonomen Kreises der Jamal-Nenzen. Das Straflager „Polarwolf“, in dem Nawalny starb, liegt etwa 50 Kilometer Luftlinie entfernt, jenseits des Polarkreis­es.

Die „Nowaja Gaseta“zitiert auch einen Mitarbeite­r des Notfalldie­nstes. Die blauen Flecken zeugen seinen Angaben nach davon, dass Nawalny vor dem Tod Krämpfe hatte und von Wärtern festgehalt­en wurde. Ein Bluterguss auf der Brust sei Indiz für tatsächlic­h vorgenomme­ne Wiederbele­bungsversu­che. Der körperlich geschwächt­e Nawalny war nach Behördenan­gaben am Freitag bei einem Hofgang im Straflager bei eisigen Temperatur­en zusammenge­brochen.

Der Anwalt Jewgeni Smirnow befürchtet, dass die Behörden die Leiche nicht so schnell herausgebe­n: „Einen juristisch­en Grund zu finden, um ihn Monate oder sogar länger einzubehal­ten, ist sehr einfach“, sagte er. Sollte Nawalny nicht binnen fünf Tagen an seine Angehörige­n übergeben werden, gehe es offensicht­lich um Vertuschun­g.

Die Politologi­n Tatjana Stanowaja analysiert, der Machtappar­at werde den Tod Nawalnys so gut es geht „ignorieren und vertuschen“. Die Lage sei für den Kreml nämlich durchaus riskant: „Die Behörden müssen Anstrengun­gen unternehme­n, damit sich der heutige Schock (...) nicht zu einer politische­n Bewegung entwickelt“.

An deren Spitze können Julia und Daria, Frau und Tochter von Alexej Nawalny, stehen. „Es gibt nichts Stärkeres in der Welt als Mutter und Tochter, die wegen des Todes von Mann und Vater gegen das System kämpfen“, schreibt die bekannte Frauenrech­tlerin Aljona Popowa.

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Brutales Vorgehen: Der junge Mann wollte Blumen an einem Denkmal niederlege­n, wurde sofort verhaftet.
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Massive Polizei-Präsenz wie hier in St. Petersburg soll NawalnyAnh­änger einschücht­ern.
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St. Petersburg: Wer trauert, wird von der Polizei beobachtet.
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Ein Bild des toten Kreml-Kritikers in St. Petersburg

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