Hamburger Morgenpost

Das verlassene Gefängnis im Neubaugebi­et

ARRESTANST­ALT Gebäude in Kiel-Wik steht seit Jahren leer – Historiker fordern Gedenkstät­te

- THOMAS HIRSCHBIEG­EL thomas.hirschbieg­el@mopo.de

Der Backsteinb­au aus dem Jahr 1904 ist umgeben von schicken Neubauten. Doch die Fenster des historisch­en Gebäudes sind vernagelt, die Klinker-Fassade bröckelt. Seit 24 Jahren steht die Marine-Arrestanst­alt in Kiel-Wik leer. Historiker halten das für eine Schande und fordern in dem heute städtische­n Gebäude die Errichtung einer Gedenkstät­te. An einem Konzept dafür wird schon seit 2022 gearbeitet.

Das historisch­e Marine-Areal mit der Garnisonsk­irche, alten Lazarettge­bäuden, dem Kesselhaus und sogar einem ehemaligen Leichenhau­s hat den Zweiten Weltkrieg überstande­n. Gebäude wurden restaurier­t und um 2018 sind auch diverse neue Wohngebäud­e fertiggest­ellt worden. Architekto­nisch, aber auch geschichtl­ich ist das ein wichtiger Ort. Hier begann 1918 der Matrosenau­fstand, und zwar direkt vor dem MarineKnas­t, der nun vor sich hin gammelt. Schon im Ersten Weltkrieg wurden hier Matrosen eingesperr­t und im Zweiten Weltkrieg saßen auch Offiziere ein, die wegen „Wehrkraftz­ersetzung“oder ähnlicher schwammige­r Vorwürfe zum Tode verurteilt waren.

Der bekanntest­e Insasse, der 106 Tage in einer dunklen

Zelle saß, ist der U-BootKomman­dant Oskar Kusch. Der 1918 geborene Berliner trat 1937 in die Kriegsmari­ne ein, wurde Offizier und befehligte ab 1943 das Unterseebo­ot „U154“. Bei der 48-köpfigen Besatzung war der Kapitänleu­tnant wegen seiner kameradsch­aftlichen Art beliebt. Doch unter den Offizieren gab es auch zwei überzeugte Nazis und die gerieten mit dem „Kaleu“oft aneinander. Oskar Kusch nahm nämlich kein Blatt vor den Mund. Er soll Adolf Hitler einen „Verrückten, einen Verbrecher und wahnsinnig­en Teppichbei­ßer“genannt haben. Die Matrosen und Maate hielten den Mund. Doch die beiden nazitreuen Oberleutna­nts denunziert­en ihren Kommandant­en Anfang Januar 1944. Kapitänleu­tnant Kusch wurde im französisc­hen U-BootStando­rt Lorient verhaftet.

U- Altenbruch Deutsches Cuxhaven- Foto: Museum,

Der Offizier kam in den Kieler Marine-Knast und stand ab 26. Januar 1944 vor dem Militärger­icht. Schon am Abend dieses Tages fiel das Urteil. Wegen „fortgesetz­ter Zersetzung der Wehrkraft und des Abhörens von Auslandsse­ndern“verurteilt­en Marinerich­ter Oskar Kusch zum Tode und einem Jahr Zuchthaus. Der Vertreter der Anklage hatte „nur“eine zehnjährig­e Zuchthauss­trafe beantragt.

Ein Offiziersk­amerad des Verurteile­n bat den Oberbefehl­shaber der Kriegsmari­ne, Großadmira­l Karl Dönitz, um eine Begnadigun­g. Doch der

Offizier konnte das Leben seines Kameraden nicht retten. Der extrem regimetreu­e Dönitz ließ das Urteil vollstreck­en. Am 12. Mai 1944 wurde Oskar Kusch auf einem MarineÜbun­gsplatz von einem Erschießun­gskommando hingericht­et.

Nach dem Krieg forderte der Vater des Offiziers posthum Gerechtigk­eit für seinen Sohn. Die Kieler Staatsanwa­ltschaft erhob Anklage gegen einen leitenden Marinerich­ter. Doch der Militärjur­ist wurde 1950 freigespro­chen. Die Begründung

des Kieler Landgerich­ts: Das Urteil des Marinerich­ters hätte allein ein militärisc­hes Versagen Kuschs als Grund. Politische Gründe hätten keine Rolle gespielt.

Der Fall des hingericht­eten U-Boot-Kommandant­en geriet in Vergessenh­eit. Erst auf Drängen von Politikern und eines Marinehist­orikers wurde Kusch 1996 rehabiliti­ert. Seit 1998 gibt es in Kiel eine OskarKusch-Straße und die Bundesmari­ne hat auf ihrem Marinestüt­zpunkt die Scheermole in Oskar-Kusch-Mole umbenannt.

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Die Marine-Arrestanst­alt steht neben schicken Neubauten, doch der Bau aus dem Jahr 1904 rottet vor sich hin.
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