Hamburger Morgenpost

Wenn Seeleute zu Geiseln von Verbrecher­n werden

- erzählt von Stefan Kruecken, Ankerherz

Als die Terroriste­n das Schiff im Roten Meer attackiert­en, nahmen sie Bilder auf, die an die Ästhetik eines Computersp­iels erinnern. Ein Hubschraub­er rattert über den Autofracht­er, dann seilt sich ein Kommando ab und stürmt mit Sturmgeweh­ren die Brücke. Auch so funktionie­rt Kriegsführ­ung im TikTok-Zeitalter. Fehlt nur noch, dass DJ Huthi einen Beat drunterleg­t. Dies geschah am 19. November 2023.

Seit diesem Tag sind 25 Crewmitgli­eder des Autotransp­orters „Galaxy Leader“Geiseln der Huthi, die manche „Rebellen“nennen, obwohl es nichts anderes sind als islamistis­che Terroriste­n, die der Iran finanziert. 25 Seeleute verschiede­ner Nationalit­äten (Philippine­n, Ukraine, Bulgarien, Mexiko) gerieten ins Visier, weil angeblich ein Anteil des Schiffes einem britisch-israelisch­en Geschäftsm­ann gehört. Wie es den Seeleuten geht? Niemand weiß das. Es heißt, einige hätten sich kurz bei ihren Familien melden dürfen. Die japanische Reederei NYK Line bemüht sich um ihre Freilassun­g. Politische Appelle der G7-Staaten, dieses Verbrechen zu beenden, blieben ungehört.

Nun gibt es einen neuen internatio­nalen Aufruf an die Geiselnehm­er, den die Internatio­nale Schifffahr­tskammer in London veröffentl­ichte. Reederverb­ände und Gewerkscha­ften haben ihn unterzeich­net und auch die Deutsche Seemannsmi­ssion. „Es ist abscheulic­h, dass die Seeleute von den Streitkräf­ten entführt und zu lange von ihren Familien und Angehörige­n ferngehalt­en wurden“, heißt es wörtlich.

Im Seemannscl­ub „Welcome“von Bremerhave­n steht eine gerahmte Fotografie der „Galaxy Leader“, als Vorlage von Fürbitten: „Unsere Gebete sind bei Euch.“Der Frachter war häufiger Gast in den Docks der Seestadt. Fromme Wünsche werden allerdings kaum ausreichen, die Entführung­sopfer nach Hause zu bringen. Sie befinden sich vermutlich noch auf ihrem Schiff, dessen Ortung über das Automatic Identifica­tion System (kurz: AIS) eingeschal­tet blieb. Die ganze Welt kann per App sehen, wo sich der gekaperte Frachter befindet, nämlich in der Bucht einer Landzunge namens Al Jaziah. Seit einigen Wochen veranstalt­en die Huthi Besichtigu­ngstouren auf den Autofracht­er. In Booten fahren sie Besucher heran, die dann über israelisch­e und amerikanis­che Flaggen trampeln und sich feixend auf den Decks fotografie­ren. Das Sightseein­g hat einen praktische­n Nebeneffek­t: In einer so unübersich­tlichen Lage ist es nahezu unmöglich, dass Spezialein­heiten wie der Special Air Service (SAS) der Royal Navy oder die Navy Seals der U.S. Navy die Gefangenen befreien.

Die Leidenszei­t von 25 Seeleuten geht weiter. Ende offen.

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründete­n Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „Max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop.

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Am 19. November kapern HuthiTerro­risten die „Galaxy Leader“und nehmen 25 Seeleute als Geiseln.
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