Hamburger Morgenpost

In dieser Geister-Villa wurde Weltgeschi­chte geschriebe­n

LÜNEBURG Im Mai 1945 wird hier das Ende des Zweiten Weltkriegs eingeläute­t

- THOMAS HIRSCHBIEG­EL thomas.hirschbieg­el@mopo.de

Ein Fassadente­il mit Eingangstr­eppe – das ist alles, was von der Villa Möllering in Lüneburg übrig geblieben ist. Kaum ein Passant verirrt sich in den abgelegene­n Stadtteil Häcklingen. Und wenn doch, dann blicken die Menschen ratlos auf die traurigen Mauerreste. Dabei wurde an diesem Ort Weltgeschi­chte geschriebe­n. Am 3. Mai 1945 sind in der Villa erste Gespräche über die Teilkapitu­lation der deutschen Wehrmacht geführt worden. Und hier unterschri­eb Generalmaj­or Alwin Wolz auch die Bedingunge­n zur kampflosen Übergabe Hamburgs.

Einst war das Gebäude ein stattliche­s Anwesen und diente ab 1907 als Schule für junge Frauen vom Lande, die hier typische „Frauenberu­fe“erlernen sollten. 1935 erwarb Alexander Möllering, Direktor der Lüneburger Kronenbrau­erei, die Villa – seitdem war das Haus als Möllering-Villa bekannt, die zehn Jahre später in den Mittelpunk­t des Weltgesche­hens rücken sollte. Nach Hitlers Selbstmord am 30. April 1945 wurde Großadmira­l

Dönitz am 1.

Mai Chef der Reichsregi­erung.

Er wollte im Westen die Waffen niederlege­n, aber im Osten gegen die Russen weiterkämp­fen, um „möglichst viele deutsche Menschen vor Bolschewis­ierung und Versklavun­g zu retten“. Aber seine Position war angesichts der erdrückend­en Übermacht der Alliierten haltlos. Und es war ein Akt der Verzweiflu­ng, dass Dönitz am 3. Mai den Generaladm­iral Hans-Georg von Friedeburg von seinem Sitz in Flensburg zu den britischen Linien bei Lüneburg schickte. Der deutsche Admiral traf dort auf den britischen Oberbefehl­shaber Feldmarsch­all Bernard Montgomery, der in der MölleringV­illa sein Hauptquart­ier eingericht­et hatte.

Von Friedeburg bot die Kapitulati­on dreier deutscher Großverbän­de zwischen Berlin und Rostock an. Montgomery aber machte ihm eindrückli­ch die aussichtsl­ose Lage der Deutschen Wehrmacht klar und forderte die bedingungs­lose Kapitulati­on. Der Admiral kehrte nach Flensburg zurück und überbracht­e Dönitz die schlechte Botschaft. Währenddes­sen unterzeich­nete der Hamburger Kampfkomma­ndant Wolz in der Villa Möllering die Bedingunge­n für die Übergabe Hamburgs, die noch am selben Tag stattfand. Schließlic­h willigte Dönitz ein, bedingungs­los zu kapitulier­en. Von Friedeburg unterzeich­nete die Erklärung am 4. Mai im Zelt von Montgomery auf dem Timeloberg in Wendisch Evern, unweit der Möllering Villa. Als Oberbefehl­shaber der Deutschen Kriegsmari­ne war von Friede

Eigentlich sollte hier ein Dokumentat­ionszentru­m zum Kriegsende entstehen, doch die Kosten waren zu hoch.

burg auch dabei, als am 7. Mai im französisc­hen Reims die bedingungs­lose Gesamtkapi­tulation der Wehrmacht unterzeich­net wurde. Nach Auflösung der letzen deutschen Reichsregi­erung am 23. Mai durch die Alliierten sollte Admiral von Friedeburg verhaftet werden. Der 55-Jährige bat die Briten darum, in einer Kaserne in Flensburg auf die Toilette gehen zu dürfen, und vergiftete sich dort mit Zyankali.

Und die Villa Möllering? Die wurde bis 2007 als Wohngebäud­e genutzt. 2012 kaufte ein Investor das denkmalges­chützte Anwesen, wollte es sanieren und dort ein Dokumentat­ionszentru­m zum Kriegsende im Norden eröffnen. Doch aus Kostengrün­den wurde daraus nichts. 2021 kam es zum Teilabriss wegen des angeblich schlechten Zustands der Villa.

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Geschichts­trächtiger Ort: die Reste der Möllering-Villa in Lüneburg-Häcklingen
 ?? ?? Im Jahr 2021 kam es zum Teilabriss der Villa Möllering.
Blick hinter die Fassadenre­ste der Villa Möllering
Im Jahr 2021 kam es zum Teilabriss der Villa Möllering. Blick hinter die Fassadenre­ste der Villa Möllering
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