Hamburger Morgenpost

Brutales Meisterwer­k

-

Es sieht so paradiesis­ch aus. Der gepflegte Garten mit Pool und Gemüsebeet (Foto oben), Vogelgezwi­tscher. Das unvorstell­bare Grauen wird erst an der Gartenmaue­r sichtbar. Denn das Zuhause von KZ-Kommandant Rudolf Höß befindet sich direkt neben dem Vernichtun­gslager Auschwitz. Beklemmend, verstörend und intensiv folgt das oscarnomin­ierte Holocaust-Drama „The Zone Of Interest“von Jonathan Glazer dem Alltag der Familie Höß. Gespielt wird der Kommandant eindrückli­ch von Christian Friedel („Babylon Berlin“). Sandra Hüller („Anatomie eines Falls“) brilliert in der Rolle der Ehefrau Hedwig (beide Foto unten).

„The Zone Of Interest“ist anders als viele bisherige Holocaust-Filme: Das Innere des deutschen Vernichtun­gslagers, in dem Hunderttau­sende Juden ermordet wurden, zeigt der britische Regisseur Glazer nicht. Er spielt mit den Kontrasten – und der Auslassung. Denn der Horror entsteht für den Zuschauer über die Tonspur: Immer wieder ist etwa Geschrei und Hundegebel­l latent als eine Art Grundrausc­hen zu hören. Für Hedwig und Rudolf Höß, die sich mit ihren Kindern ihr eigenes Idyll aufgebaut haben, sind dies bloß Hintergrun­dgeräusche – so als wohne man an einer belebten Straße und blende den Lärm irgendwann aus. Glazer sagte kürzlich bei einer Filmvorste­llung in Berlin, im Prinzip seien es zwei Filme. „Es gibt den Film, den man sieht, und den Film, den man hört.“

Er erzählt die Geschichte dabei aus der Perspektiv­e der Familie: wie Hedwig die Kinder großzieht oder ihrer Mutter im Garten stolz erzählt, dass ihr Mann sie die „Königin von Auschwitz“nennt. Die Gleichgült­igkeit und Bösartigke­it der Familie ist dabei immer wieder erschrecke­nd, etwa wenn Hedwig beim Frühstück einer Bedienstet­en nebenbei sagt, ihr Ehemann könne ihre Asche über die Felder streuen. Rauchschwa­den, die man aus dem Fenster sehen kann, oder das Spielzeug der Kinder lassen erahnen, welch Grauen sich im Lager selbst abspielt.

„The Zone Of Interest“ist lose angelehnt an den gleichnami­gen Roman (auf Deutsch: „Interessen­gebiet“) von Martin Amis aus dem Jahr 2014. In Cannes hatte der in Polen gedrehte Film den „Großen Preis der Jury“abgeräumt, bei den diesjährig­en Oscars geht er nun in fünf Kategorien ins Rennen – unter anderem „Bester Film“, „Beste Regie“und „Bester Ton“. Der „Guardian“bezeichnet­e das Drama als ein „brutales Meisterwer­k“. Es wirkt lange nach.

106 Minuten, ab 12 Jahren; Abaton, Holi, Koralle, Passage, Studio-Kino (OmU), UCI Mundsburg, Zeise

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany